Improvisation 19 von Wassily Kandinsky

Details

Datierung
1911
Objektart
Gemälde
Material
Öl auf Leinwand
Maße
120 cm x 141,5 cm
Ausgestellt
In "Der Blaue Reiter"
Inventarnummer
GMS 79
Zugang
Schenkung 1957
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
Zitiervorschlag / Permalink
Wassily Kandinsky, Improvisation 19, 1911, Öl auf Leinwand, 120 cm x 141,5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
https://www.lenbachhaus.de/digital/sammlung-online/detail/improvisation-19-30011976
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Werktext

Wie kein anderes der hier vorgestellten Bilder erhellt "Improvisation 19" einen weiteren wichtigen Aspekt der von Kandinsky erreichten Emanzipation vom traditionellen Bildgegenstand. Sixten Ringbom und andere Forscher konnten nachweisen, dass Kandinsky sich in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg intensiv mit philosophischem und mystischem Gedankengut beschäftigte. Seine Kenntnis der Vorträge und Schriften Rudolf Steiners ist belegt, in München pflegte er Kontakte zum Kreis um Stefan George, Karl Wolfskehl und Ludwig Klages; in seiner Bibliothek befanden sich theosophische Handbücher, reich illustriert mit Abbildungen übersinnlicher Erscheinungen und Phänomenen der Parapsychologie. Das weite, zu Beginn des 20. Jahrhunderts neu erschlossene Reich der Tiefenpsychologie und angrenzender Wissenschaften eröffnete auch Kandinsky Erkenntnis- und Gestaltungsmöglichkeiten, die seinem Streben nach dem Ausdruck des Immateriellen entgegenkamen. In die Geheimsprache seiner abstrahierenden Bildformen nahm er Elemente aus diesen Bereichen auf.

Durchsichtige, lediglich von einfachen schwarzen Umrissen bezeichnete Figuren scheinen in "Improvisation 19" in den Bann eines unbekannten Geschehens gezogen. Links rückt ein Zug mehrerer dicht gedrängter Gestalten gegen den vorderen Bildrand heran. Ihre hohlen Körper lassen die frei fließenden Farben ihres Hintergrundes durchscheinen. Ihnen ist helles Rot, Gelb, etwas Grün und Weiß zugeordnet; in Weiß auch setzen sich die Schemen weiterer Gefolgschaft hinter ihnen fort – das Weiß der ungeahnten, noch nicht konkretisierten Möglichkeiten. Der größte Teil des Bildes aber ist von tief leuchtendem, lebendig schattiertem Blau erfüllt. Dieses Blau durchleuchtet auch die ins Profil gewandte Gestaltengruppe in der rechten Bildhälfte, die sich auf ein Ziel am Bildrand hinzubewegen scheint. Zwischen beiden Gruppen schiebt sich von oben eine längliche abgerundete Form ins Bild, deren diaphanes Farbenspiel von einer kräftigen schwarzen Grenze umgeben ist.

Offensichtlich handelt es sich bei den Farberscheinungen um Auren, die als Ausdruck von Gedanken- und Gefühlslagen durch die Menschen hindurchgehen und von ihnen abstrahlen. Die längliche Form über ihnen ist als Manifestation einer übersinnlichen Erscheinung zu verstehen. Während 'irdische' Farben den Zug der links Herankommenden begleiten, ist Blau die Farbe einer höheren Sphäre von Spiritualität und Idealismus. Das Violett an den Köpfen der 'Eingeweihten' scheint Erlöschen, Übergang darzustellen. Kandinsky strebte hier eine bildliche Materialisierung des nur spirituell Existenten an. Semiabstrakte Formen besaßen für ihn die Fähigkeit, Phänomene der Imagination und des Bewusstseins zu gestalten. Die beinahe messianische Heilserwartung, die sich im unbekannten Ritual des Bildes mitteilt, erstreckte sich für ihn auf die Entwicklung der Kunst und "aller anderen Reiche" insgesamt: Wir stehen, so schreibt Kandinsky in "Über das Geistige in der Kunst", an der Schwelle der "Dritten Offenbarung", der "Epoche des großen Geistigen".

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.

Audio

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