Waldbeere von Paul Klee

Paul Klee, Waldbeere, 1921, 92

Details

Datierung
1921, 92
Objektart
Zeichnung / Arbeit auf Papier
Material
Aquarell, Bleistift auf Papier, zerschnitten und neu kombiniert, Gouache, Feder eingefasst auf Karton, unten ca. 1 cm breiter Streifen von Klee angestückt
Maße
35,7 cm x 27 cm
Signatur / Beschriftung
u. r.: Klee; auf dem Untersatzkarton u. Mitte: 1921/92 Waldbeere
Ausgestellt
Nein
Inventarnummer
G 15694
Zugang
Ankauf 1978
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
Zitiervorschlag / Permalink
Paul Klee, Waldbeere, 1921, 92, Aquarell, Bleistift auf Papier, zerschnitten und neu kombiniert, Gouache, Feder eingefasst auf Karton, unten ca. 1 cm breiter Streifen von Klee angestückt, 35,7 cm x 27 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, © CC BY NC SA
https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/waldbeere-30011903
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Werktext

Die Welt der Bühne, der imaginären Verwandlung hat Paul Klee von jeher fasziniert. Zahlreiche seiner Bilder kreisen uns Themen aus der Welt des Theaters, des Zirkus, der Artisten und Zauberkünstler. Skurrile Phantasiefiguren führen dabei oft ein von jeder realistischen Wahrscheinlichkeit losgelöstes Spiel auf. In "Waldbeere" präsentiert sich die verwirrende Mischgestalt einer zierlichen Bühnenfigurine mit riesig aufgeblähtem, leerem Kopf vor einer dunklen Waldbühne.

"Vor dunkelviolettem Hintergrund, eingefasst von kulissenartigen Versatzstücken und stilisierten Pflanzen, wächst eine Figurine empor. In strenger Frontalität verharrend, stemmt sie mit zarten Gliedern ihren mächtigen, ballonartigen Kopf. Mehr noch als Rhomben und Blattformen des Gewandes bestimmt dieses knospenartige Gebilde von transparenter Farbigkeit den geheimnisvollen Charakter des Zwitterwesens, in dem sich Anthropomorphes und Vegetabiles vereinigen. Diese Symbiose verleiht der Darstellung etwas Rätselhaftes und sanft Unheimliches" (Armin Zweite). Das abgespreizte 'Gefieder' scheint das Schweben der Figur zu befördern; ihr lastender Kopf mit den brombeerfarbenen Schichten jedoch hält sie bei aller Transparenz in puppenhafter Hilflosigkeit.

1920 war Klee als Lehrer an das Staatliche Bauhaus nach Weimar berufen worden, im Januar 1921 trat er seinen Dienst dort an und siedelte im Herbst jenes Jahres endgültig mit seiner Familie über. Die geometrischen Grundformen der "Waldbeere" mit der geschnürten Wespentaille und den Gelenkscharnieren weisen gewisse Ähnlichkeiten zu gleichzeitigen Bühnenarbeiten des Bauhauses, etwa Oskar Schlemmers mechanischem "Triadischen Ballett" auf. Doch verfolgt Klees poetisches Geschöpf ein ganz anderes Konzept als die analytischen Figuren Schlemmers, die letztlich die Funktionalität des menschlichen Körpers demonstrieren. Zwar verkörpert die "Waldbeere" in ihrer Gestalt die großen Gegensätze, die Klee am Bauhaus besonders beschäftigten – die Beziehungen von naturhaften und mathematisch-gesetzmäßigen Formen –, doch damit erweist sie sich umso mehr als das vollständige Geschöpf des Künstlers.

Zu diesen Kunstfiguren scheint der Mensch durch seine Fähigkeit Zugang zu haben, sich die Erscheinungen der Natur in anthropozentrischer Weltsicht anzueignen: "Über diese Arten der verinnerlichenden Anschauung des Gegenstandes hinaus gehen die folgenden zu einer Vermenschlichung des Gegenstandes führenden Wege, die das Ich zum Gegenstand in ein über die optischen Grundlagen hinausgehendes Resonanz-Verhältnis bringen. Erstens der nicht optische Weg gemeinsamer irdischer Verwurzelung, der ins Ich von unten ins Auge steigt, und zweitens der nicht optische Weg kosmischer Gemeinsamkeit, der von oben einfällt. Metaphysische Wege ihrer Vereinigung" ("Wege des Naturstudiums").

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.