Der Blaue Reiter
Sammlungspräsentation –
Das Lenbachhaus München besitzt die weltweit größte Sammlung zur Kunst des 'Blauen Reiter', einer der wichtigsten Künstlergruppen der Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland und Europa. Diesen Umstand verdankt das Museum in erster Linie der großzügigen Stiftung von Gabriele Münter, der Malerin und Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky bis 1914.
Anlässlich ihres 80. Geburtstages 1957 machte sie dem Lenbachhaus über 1000 Werke des 'Blauen Reiter' zum Geschenk. Darunter befanden sich über 90 Ölbilder von Kandinsky, etwa 330 Aquarelle und Zeichnungen, das druckgraphische Werk, Skizzenbücher und Hinterglasbilder von seiner Hand, zudem über 25 von Münters eigenen Gemälden und zahlreiche Arbeiten auf Papier sowie Werke weiterer bedeutender Künstler wie Franz Marc, August Macke, Paul Klee, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin. Mit der großartigen Schenkung Gabriele Münters 1957 wurde die Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus zu einem Museum von Weltrang.
Das einzigartige Ensemble der Gabriele Münter Stiftung, an dem sich wie nirgendwo sonst die Kunst und Geschichte des 'Blauen Reiter' detailliert verfolgen und erleben lässt, wurde 1965 durch eine weitere wichtige Schenkung ergänzt. Angeregt durch das Vorbild Münters, stifteten die Erben von Bernhard Koehler 1965 Hauptwerke von Franz Marc und August Macke. Bernhard Koehler sen., ein wohlhabender Berliner Fabrikant, war der Onkel von Mackes Ehefrau und hatte seit 1910 nicht nur zahlreiche Werke aus dem Künstlerkreis gekauft, sondern auch die Ausstellungen und die Publikation des Almanach 'Der Blaue Reiter' 1911 und 1912 finanziell unterstützt. Diese beiden Schenkungen eröffneten dem Lenbachhaus zudem eine nationale und internationale Perspektive, der sich die Sammlung mit ihren Schwerpunkten in der Gegenwartskunst, ihrem Ausstellungsprogramm und ihren Kontakten in alle Welt bis heute verpflichtet fühlt.
Der Kreis des 'Blauen Reiter' in München und Murnau gehört neben der Künstlergemeinschaft der 'Brücke' in Dresden und Berlin zur wichtigsten künstlerischen Erneuerungsbewegung der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zum figürlichen Expressionismus der 'Brücke'-Künstler entwickelte der Kreis des 'Blauen Reiter' ab 1908 eine spezifische Art von strahlend farbiger, expressiver und zum Teil abstrahierender Formensprache, die unter dem verbindenden Glauben an eine 'geistige' Dimension der Kunst verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten Raum bot. In diesem Sinne war der 1911 gegründete 'Blaue Reiter' ein Zusammenwirken verschiedener Künstlerpersönlichkeiten auf der Basis der Vielfältigkeit. In dieser Offenheit liegt seine Modernität, die sich bis in die Gegenwart Aktualität und Akzeptanz bewahrt hat. Das Lenbachhaus hat in den vergangenen Jahrzehnten beständig mit seiner Sammlung des 'Blauen Reiter' gearbeitet, nicht nur in den wegweisenden Künstler-Retrospektiven seit den 1980er Jahren, die ab 1990 wesentlich ergänzt und vertieft wurden:
- Alfred Kubin (1990)
- Gabriele Münter (1992)
- Adriaan Korteweg (1983)
- Das bunte Leben. Wassily Kandinsky im Lenbachhaus (1995)
- Albert Bloch (1997)
- Der Blaue Reiter und das Neue Bild (1999)
- Alfred Kubin – Das lithographische Werk (1999)
- Gabriele Münter, Das druckgraphische Werk (2000)
- Franz Marc (2005)
- Gabriele Münter, Fotos aus Amerika/ Fotos der Jahre mit Kandinsky (2006/07)
- Kandinsky. Absolut, Abstrakt (2008-2010), in Kooperation mit dem Centre Pompidou Paris und dem Guggenheim Museum, New York
Daneben hat das Lenbachhaus stets auch neue Möglichkeiten der Präsentation der ständigen Schausammlung des 'Blauen Reiter' erprobt. 1992 wurde in dieser Abteilung ein damals revolutionärer Schritt gewagt: Anstelle des seit Jahrzehnten im Kanon der Museums-Präsentationen dominierenden 'White Cube', der Vorherrschaft von Weiß als Wandfarbe in Ausstellungs- und Schauräumen, entschied man sich für farbige Wände: So wurden Werke von Kandinsky auf Dunkelrot oder Steingrau gehängt, von Marc und Macke auf Gelb, die Murnauer Landschaftsbilder auf Blau. Die farbige Akzentuierung der Wände im Lenbachhaus wurde dabei durch umfangreiche Forschungen begleitet, die in der Dokumentation "Farbige Wände. Zur Gestaltung des Ausstellungsraumes von 1880 bis 1930" zusammengefasst sind. Dieses Beispiel des Lenbachhauses hat seitdem Schule gemacht: Heute gibt es kaum mehr eine Ausstellung, die nicht auf farbigen Wänden gezeigt wird. In den Jahren 2006 bis 2009 kam ein weiteres Experiment hinzu: Vier Künstler – Franz Ackermann, Thomas Demand, Olafur Eliasson und Katharina Grosse – wurden eingeladen, sich mit jeweils einem Künstlerraum des 'Blauen Reiter' auseinander zu setzen: Ackermann schuf im Marc-Raum eine Wandmalerei mit kristallinen Formen, Demand überzog den Macke-Raum mit einer Fototapete nach einem von ihm in Papier nachgebauten Efeublatt-Muster, Eliasson tauchte den eigens dafür rekonstruierten 'White Cube' mit Werken Kandinskys in örtlich und zeitlich wechselnde Lichtsituationen und Grosse gestaltete mit farbigen Graffitti an Wänden und Boden den Jawlensky-Raum neu.
In den Jahren der Schließung des Lenbachhauses wegen Generalsanierung und Neubau durch das Büro Foster + Partners von 2009 bis 2012 waren Teile der Sammlung des 'Blauen Reiter' auf Tournee: 2009 wurde eine Auswahl der bekanntesten Bilder des 'Blauen Reiter' an das Museum Frieder Burda in Baden-Baden gegeben. Damit stellte sich das Lenbachhaus im ersten Jahr seiner Schließung mit dem Kernstück seiner Sammlung im Südwesten Deutschlands und im französischen Grenzgebiet vor. Die Ausstellung stand unter dem Motto "Freunde, Wege, Ziele." Konzept und Katalog wurden vollständig vom Lenbachhaus erarbeitet, ein Schwerpunkt lag auf dem Beziehungsgeflecht zwischen den Künstlerpersönlichkeiten Kandinsky, Marc, Macke, Münter und Jawlensky. 2010 wurde das bislang umfangreichste Konvolut aus der Sammlung des 'Blauen Reiter' mit einer Anzahl von über 120 Werken, darunter kostbare Papierarbeiten von Kandinsky, Macke und Klee, an das Gemeentemuseum Den Haag ausgeliehen. Dies erfolgte im Austausch mit einer ebenso bedeutenden Gegenleihgabe zu Piet Mondrian und De Stijl an das Lenbachhaus. Beide Ausstellungen - "Kandinsky en Der Blaue Reiter" sowie "Mondrian und De Stijl" wurden jeweils am Ort ihrer Präsentation von den Leitern und Kuratoren der Häuser realisiert. Der Forschungsschwerpunkt der 'Blaue Reiter'-Schau in Den Haag lag auf der Rezeption Kandinskys in den Niederlanden seit 1912 sowie seinen Beziehungen zu Theosophie und Kinderkunst.
2010/11 wurde die Ausstellung "Der Blaue Reiter. Ein Tanz in Farben. Aquarelle, Zeichnungen und Druckgraphik" aus dem Lenbachhaus entwickelt und zunächst im Kunstbau in München gezeigt. Ausstellung und Katalog präsentierten erstmals den gesamten Sammlungsbestand an Papierarbeiten der 'Blaue Reiter'-Künstler Albert Bloch, Heinrich Campendonk, Robert Delaunay, Alexej von Jawlensky, Eugen von Kahler, Paul Klee, Else Lasker-Schüler, August Macke, Franz Marc, Alexander Sacharoff, Eduard und Elsa Schiemann und Marianne von Werefkin. Hinzu kam eine gezielte Auswahl von Blättern der Protagonisten Wassily Kandinsky und Gabriele Münter sowie Alfred Kubin, von denen das Lenbachhaus umfangreiche Bestände von mehreren hundert Blättern besitzt. Die Ausstellung wanderte weiter an die Albertina Wien. Im Gegenzug lieh die Albertina eine herausragende Auswahl an Blättern von Egon Schiele an das Lenbachhaus.
2010/11 wurde die Ausstellung "Kandinsky and the Blue Rider from the Lenbachhaus, Munich" auf einer Tournee mit vier Stationen in Japan gezeigt, im Mitsubishi Ichigokan Museum, Tokyo, im Aichi Prefectual Museum of Art, Nagoya, im Hyogo Prefectural Museum of Art, Kobe und im Yamaguchi Prefectural Art Museum. Sie präsentierte eine Auswahl von 60 bekannten Gemälden des 'Blauen Reiter', Dokumente und Fotos, sowie einige Werke von Franz von Lenbach und Franz von Stuck, die den historischen Kontext und die Präsentation des Museums in Japan zusätzlich vertieften. Der Katalog wurde von Mitarbeitern des Lenbachhauses und japanischen Kollegen gemeinsam erstellt.
2011/12 wurde diese Auswahl Kandinsky und der Blaue Reiter an letzter Station im Puschkin-Museum in Moskau gezeigt. Auch hier entstand ein eigener Katalog in Zusammenarbeit des Lenbachhauses mit russischen Kollegen. Ein Schwerpunkt des Interesses lag in Moskau auf dem Schaffen und der Person Kandinskys, dessen Kunst während der sowjetischen Zeit von 1917 bis 1989 in Russland verfemt und nicht zu sehen gewesen war. In der russischen Hauptstadt hatte ab 1989 die Tretjakow Galerie mit einer großen internationalen Retrospektive seine Werke wieder aus ihrem Depot geholt und zeigt sie seitdem in ihrer modernen Abteilung. Das Puschkin-Museum selbst verfügt jedoch über keine eigenen Bestände Kandinskys und legte deshalb einen besonderen Akzent auf diesen wichtigen russischen 'Blauen Reiter'.
In der Neupräsentation des Lenbachhauses ab Mai 2013 wird der 'Blaue Reiter' im gesamten zweiten Obergeschoß gezeigt werden. Damit steht die weltberühmte Sammlung wieder jährlich hunderttausenden Besucher offen, in überwältigender Fülle, aber auch in konzentrierter Auswahl: Darunter sind Hauptwerke des 'Blauen Reiter' wie Kandinskys "Impression III (Konzert)", Marcs "Blaues Pferd I", Münters "Stilleben mit Heiligem Georg", Mackes "Promenade" oder Jawlenskys "Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff" zu sehen.