Neue Sachlichkeit
Die Kunst nach dem Ersten Weltkrieg ist im Lenbachhaus vor allem durch eine Auswahl bedeutender Werke der Neuen Sachlichkeit vertreten, die paradigmatisch für die Kunst und Kulturpolitik der 1920er und 1930er Jahre stehen.
Die historischen Brüche und Verwerfungen sind beispielhaft repräsentiert durch Hauptwerke wie Georg Schrimpfs Porträt "Oskar Maria Graf" (1918), Rudolf Schlichters Bildnis von Bertolt Brecht (um 1926), "Operation" (1929) von Christian Schad, Josef Scharls "Gefallener Soldat" (1932), und Franz Radziwills "U-Boot-Krieg / Der totale Krieg / Verlorene Erde" (um 1938/39 – 1960).
Im Unterschied zu Namen wie "Der Blaue Reiter" oder "Die Brücke" ist die Bezeichnung "Neue Sachlichkeit" kein von einer Künstler*innengruppe gewählter Ausdruck eines künstlerischen Konzepts, sondern beschreibt ein von Kunsthistoriker*innen und Kritiker*innen in der zeitgenössischen Malerei erkanntes Charakteristikum.
Der Begriff wurde von Gustav Friedrich Hartlaub, dem Direktor der Mannheimer Kunsthalle, für seine gleichnamige Ausstellung 1925 in Mannheim geprägt. Er fasste unter diesem Programmwort verschiedene Richtungen der deutschen Kunst nach dem Ersten Weltkrieg zusammen. Gemeinsam war den Künstler*innen der Neuen Sachlichkeit eine erneute Hinwendung zur nüchtern-realistischen Wiedergabe der Wirklichkeit, die bei den meisten zugleich eine kritische Distanzierung zum vorausgegangenen Expressionismus enthielt.
Eine Ikone der 1920er Jahre stellt Schlichters Porträt seines Freundes Bertolt Brecht dar. Kantige Formen und ein kühler Farbklang geben dem Bildnis einen Ausdruck distanzierter Spannung. Der Dichter, ein Liebhaber von Zigarren und schnellen Autos – Autoteile dienen als Hintergrundfolie – wird hier als technikbegeisterter, moderner Mensch dargestellt.
Die neusachlichen Maler*innen im Lenbachhaus lassen sich verallgemeinernd zwei Lagern zuordnen: Den stärker sozialkritisch orientierten Künstlern Rudolf Schlichter, Christian Schad, Karl Hubbuch, Christoph Voll und Willi Geiger stehen die von der italienischen Künstlergruppe um die Zeitschrift "Valori Plastici" (Carlo Carrà, Giorgio de Chirico) beeinflussten Münchner Maler*innen wie Georg Schrimpf und Alexander Kanoldt gegenüber. Letztere umgehen in ihren Werken die gesellschaftskritischen Aspekte und gehören eher zu den ausgesprochenen Idylliker*innen.
Josef Scharls "Gefallener Soldat" und Franz Radziwills "U-Boot-Krieg / Der totale Krieg / Verlorene Erde" thematisieren die Ereignisse des Ersten Weltkriegs im Hinblick auf die eigene Gegenwart. Der mehrteilige Titel von Radziwills Bild weist auf die wechselvolle Entstehungsgeschichte des Werkes hin, in der die sich wandelnde künstlerische wie politische Auffassung und die schwierige Beziehung von Künstler*innen der Neuen Sachlichkeit zur NS-Kulturpolitik zum Ausdruck kommt.
"Die Neue Sachlichkeit ist die allgemeine Strömung, die gegenwärtig in Deutschland herrscht, eine Strömung des Zynismus und der Resignation auf enttäuschte Hoffnungen. Der Zynismus und die Resignation stellen die negative Seite der 'Neuen Sachlichkeit' dar, ihre positive Seite ist die Begeisterung für die Sachlichkeit, der Wunsch, die Dinge objektiv zu behandeln, so wie sie sind, ohne in ihnen eine ideelle Bedeutung zu suchen."
Gustav Hartlaub 1925