Improvisation Sintflut von Wassily Kandinsky

Details

Datierung
1913
Objektart
Gemälde
Material
Öl auf Leinwand
Maße
95,8 cm x 150,3 cm x 2,5 cm
Ausgestellt
Nein
Inventarnummer
GMS 76
Zugang
Schenkung 1957
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
Zitiervorschlag / Permalink
Wassily Kandinsky, Improvisation Sintflut, 1913, Öl auf Leinwand, 95,8 cm x 150,3 cm x 2,5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
https://www.lenbachhaus.de/digital/sammlung-online/detail/improvisation-sintflut-30012094
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Werktext

Die "Improvisation Sintflut" ist eine der vielen vorbereitenden Arbeiten zu Wassily Kandinskys großer "Komposition VI" (Eremitage, St. Petersburg), der das Thema der Sintflut zugrunde liegt. Kandinsky hat sich über die Entstehung dieser Komposition ausführlich geäußert. Ausgangspunkt war ein heute verschollenes Hinterglasbild mit Motiven des biblischen Strafgerichts, "das ich mehr zu meinem Vergnügen gemacht habe. Hier sind verschiedene gegenständliche Formen gegeben, die teilweise lustig sind (es machte mir Spaß, die ernsten Formen mit lustigen äußeren Eindrücken zu vermengen): Akte, Arche, Tiere, Palmen, Blitze, Regen usw.". Es dauerte jedoch noch über eineinhalb Jahre, bis Kandinsky sich, wie er schrieb, vom konkreten Bild der Sintflut lösen konnte zugunsten einer unabhängigen Formvorstellung, in der nicht der "äußere Klang" des Gegenstands, sondern sein "innerer Klang" vorherrschen sollte.

Die "Improvisation Sintflut" ist ein aufgewühlter Strudel von Farben, mit zum Teil kompakten, durch mehrfache Übermalung reliefhaft wirkenden, zum Teil flach verwischten Partien, die in der Mitte von weißen Strahlen durchkreuzt sind. Der Eindruck eines dramatischen Geschehens, durchaus der einer großen Naturkatastrophe wie Flut und Untergang, drängt sich auf, ohne dass dafür ein gegenständlicher Anhaltspunkt auszumachen wäre.Von dem figürlichen Personal des oben erwähnten Hinterglasbildes ist keine Spur zu finden. Dagegen heben sich zwei Zentren heraus, die Kandinsky auch im Hinblick auf die Endfassung der "Komposition VI" anspricht: "1. links das zarte, rosige, etwas verschwommene Zentrum mit schwachen unsicheren Linien in der Mitte, 2. rechts (etwas höher als das linke) das grobe, rot-blaue, etwas missklingend, mit scharfen, etwas bösen, starken, sehr präzisen Linien".

Vergleicht man jedoch die "Improvisation Sintflut" mit der großen "Komposition VI", so scheint es sich wiederum um einen ganz anderen Bildentwurf zu handeln. Die Farben sind dort viel dünnflüssiger ausgebreitet, kaltes Blau und Grün ziehen sich wellenförmig über das Bild, vor deren Grund graphische Chiffren das Drama auf einer weiteren Ebene aufführen. Links schwebt dort ein Boot mit ausgelegten Rudern, darüber ein Posaunenengel, zur Mitte hin der herumgewirbelte Leib eines Fisches. Die scharfen Diagonalen in der Bildmitte sind nun schwarz und können eindeutiger als 'Regenstreifen' oder auch Posaunenklänge verstanden werden. Diese Elemente machen die Beziehung der "Komposition VI" zum Thema der Sintflut erneut deutlich und verbinden das Gemälde mit den apokalyptischen Motiven des Weltgerichts.

Doch der Künstler weist es ausdrücklich zurück, diese Komposition "zur Darstellung eines Vorgangs zu stempeln". Dabei ist bemerkenswert, dass das für ihn wichtigste Element der Endfassung, ein drittes, verschwommenes Zentrum in der Mitte, in der vorliegenden "Improvisation Sintflut" noch völlig fehlt. Kandinskys Schlusssatz zur Erläuterung seiner "Komposition VI" lautet: "Ein großer, objektiv wirkender Untergang ist ebenso ein vollständig und im Klang abgetrennt lebendes Loblied, wie ein Hymnus der neuen Entstehung, die dem Untergang folgt."

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.