Weltempfänger

Georgiana Houghton − Hilma Af Klint − Emma Kunz

Weltempfänger

Die Ausstellung "Weltempfänger" gibt Einblick in ein außergewöhnliches und weitgehend unbekanntes Kapitel der Moderne: Völlig unabhängig voneinander entwickelten Georgiana Houghton (1814–1884) in England, Hilma af Klint (1862–1944) in Schweden und Emma Kunz (1892–1963) in der Schweiz eine jeweils eigene abstrakte, mit Bedeutung hoch aufgeladene Bildsprache. Alle drei wollten in ihren Arbeiten Naturgesetze, Geistiges und Übersinnliches sichtbar machen; mit Ausdauer und Durchsetzungsvermögen folgten sie ihren Überzeugungen.

Ihren Werken werden kaum bekannte Filme von Harry Smith (1923–1991) und den Brüdern John Whitney (1917–1995) und James Whitney (1921–1982) an die Seite gestellt. Die Künstler produzierten im Kalifornien der Nachkriegsjahre experimentelle Filme, in denen sie nach einer Einheit verschiedener Sinneswahrnehmungen strebten. Unter Einsatz innovativer Herstellungsverfahren und neuer Medien wie Film und Computergrafik schufen sie abstrakte, esoterische Bildwelten. Zum ersten Mal präsentieren wir diese äußerst selten gezeigten Werke gemeinsam in einer Ausstellung.

Georgiana Houghton, Hilma af Klint und Emma Kunz erforschten unsichtbare Kräfte und das Transzendente; ihre in der Ausstellung gezeigten Werke basieren auf spirituellen Erfahrungen und der Kommunikation mit einer höheren Welt. Die drei Künstlerinnen verstanden sich als Medien, als Empfängerinnen von Botschaften, die vielleicht nur sie hören konnten und die sie in Form von Kunstwerken festhielten. Bei dieser Art mediumistischen Kunstschaffens tritt das Künstlersubjekt von seinem Ego zurück, gibt dieses quasi an der Ateliertür ab, und agiert als Mittler zwischen einer verborgenen und der sichtbaren Welt.

Als "Weltempfänger" konnten die Künstlerinnen die Schöpfung der Bilder einer externen Quelle zuschreiben. Dies gab ihnen die Freiheit, in ihrem Schaffen soziale, kulturelle und ästhetische Grenzen zu überwinden sowie die notwendige Energie, dies auch tatsächlich zu tun. Damit geht eine Entgrenzung des Werkbegriffs einher, der sich auch in den Arbeiten der drei Filmemacher zeigt: Harry Smith bezeichnete seine Filme als abstrakte Partituren, zu denen Jazz-Musiker live improvisieren sollten; James Whitney begriff seine Filme als Werkzeuge zur Meditation, die Einsichten in kosmische Prinzipien liefern können; und die technischen Apparaturen, die John Whitney entwickelte, waren engstens mit dem Aufkommen moderner Computertechnologie verknüpft.

Die Zusammenhänge zwischen der Entstehung der abstrakten Kunst der Moderne im 20. Jahrhundert und okkulten wie esoterischen Ideen werden schon lange erforscht. Viele Künstler suchten für spirituelle, metaphysische und utopische Themen neue Bildmittel und fanden sie in der Abstraktion. Im Zentrum dieses Forschungsinteresses steht Wassily Kandinsky, der zu den wichtigsten Künstlern im Bestand des Lenbachhauses gehört. Nicht nur seine frühesten abstrakten Bilder, sondern auch die in seiner Schrift "Über das Geistige in der Kunst" (1912) geäußerten Ideen bieten einen wichtigen Referenzrahmen für dieses Projekt. Es geht dabei nicht um die – letztlich unbeantwortbare – Frage, wer zuerst abstrakt malte, sondern um die vielfältigen Erscheinungsweisen der Abstraktion. Abstrakte Kunst gibt nicht die äußere, sichtbare Realität wieder, sie ist vielmehr Mitteilung von Inhalten, die jenseits unserer visuellen Wahrnehmung liegen. Ihre bildnerische Form ergibt sich – folgt man Kandinskys Auffassung – aus einer „inneren Notwendigkeit”.

Kuratiert von Karin Althaus und Sebastian Schneider

In Zusammenarbeit mit

Victorian Spiritualists' Union, Melbourne
The Hilma af Klint Foundation, Stockholm
Emma Kunz Zentrum, Würenlos

Stimmen

"Gewöhnlich beginnt die Meistererzählung der abstrakten Kunst mit dem Triumvirat Kandinsky, Malewitsch und Mondrian. In Zukunft wird man sie um drei weibliche Namen ergänzen müssen. Georgiana Houghton, Hilma af Klint und Emma Kunz heißen die drei Künstlerinnen, deren aufsehenerregende Werke in der Ausstellung 'Weltempfänger' im Münchner Lenbachhaus zu sehen sind."

Dorothea Zwirner, Der Tagesspiegel

"Erst jetzt, also im 21. Jahrhundert, rückt das Schaffen dieser Künstlerinnen nach und nach ins Interesse der Museen. So auch des Münchner Lenbachhauses. Seit Jahren kümmert es sich um vergessene Künstlerinnen - und verliert dabei nie die eigene DNA aus dem Auge. (...) Selbst wer nicht glauben mag, dass hier höhere Mächte gewirkt haben, kann sich an guten, raffinierten und teils exzellenten Bildern freuen."

Simone Dattenberger, Münchner Merkur

"Die Frage eines verbindlichen 'Kanons' der Kunstgeschichte hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin aufgelöst (...). Insofern ist es souverän, dass die Kuratoren Karin Althaus und Sebastian Schneider darauf verzichtet haben, die Werke von Hilma af Klint, Georgiana Houghton und Emma Kunz mit den im Lenbachhaus hervorragend vertretenen Modernen wie Kandinsky zu konfrontieren."

Catrin Lorch, Süddeutsche Zeitung

"Abstraktion gab's lange vor Kandinsky und Co. Im Lenbachhaus sind drei außergewöhnliche Künstlerinnen zu erleben, die sich als Medien verstanden haben und ihrer Zeit weit voraus waren. [...] mit dem Abstand von über hundert Jahren wirkt manches wie die hellsichtige Vorausschau real existierender Phänomene. Houghtons vielschichtige Wellen scheinen die Kakophonie des 21. Jahrhunderts vorwegzunehmen, af Klint vereint Mikro-und Makrokosmos."

Roberta De Righi, Abenzeitung

"Das Lenbachhaus tut nun etwas sehr Naheliegendes: Es nimmt die Bilder von Houghton, af Klint und auch die der Schweizerin Emma Kunz einfach als Kunstwerke ernst. Schließlich war auch Wassili Kandinsky auf der Suche nach der Darstellbarkeit des 'Geistigen'".

Christian Gampert, Deutschlandfunk Kultur

"Okkultismus und Avantgarde - das passt auf den ersten Blick gar nicht zusammen. Und doch gibt es einen gemeinsamen Nenner: Naturgesetze und Geistiges, Ungesehenes und Imaginiertes sollen auf Leinwand und Zeichenblättern sichtbar werden. Die Bilder aus den Zwischenwelten, die kosmische Weltordnungen mandalaartig und sinnlich schön ausdrücken, erscheinen so real wie die populären Naturstudien, die der Biologe Ernst Haeckel vor gut 100 jahren veröffentlicht hat. Er zeichnete Quallen und Strahlentiere, die Frauen suchten Erleuchtung. Aus Natur wurde Kultur. Geist und Materie wurden eins."

Gabi Czöppan, H.O.M.E

"Man könnte es so sehen: Die Ausstellung 'Weltempfänger' deckt den Aspekt der Selbstbehauptung des Künstlersubjekts auf, wo dieses am radikalsten bestritten wird - und das genau in dem Moment der Moderne, an dem Selbstbehauptung beginnt, den Kanon der Kunst zu bestimmen."

Christoph Sehl, artline

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