Werktext
In den Jahren ihres Aufenthaltes in Skandinavien von 1915 bis 1920 zeigt sich in den Werken Gabriele Münters ein deutlicher stilistischer Wandel gegenüber der Periode des 'Blauen Reiter'. Bald nach ihrer Ankunft in Stockholm hatte Münter Kontakt mit den Künstlern der schwedischen Avantgarde, wie dem Ehepaar Isaac Grünewald und Sigrid Hjerten sowie Einar Jolin und Leander Engström aufgenommen. Der Einfluss dieser schwedischen Schüler von Henri Matisse mit ihren fauvistischen Gestaltungsprinzipien, dekorativ flächigem Bildaufbau und raffiniert gemischten Farben ist in Münters Werk bald unverkennbar.
Sabine Windecker schreibt über diesen Wechsel in Stil und Themenwahl Münters durch den Austausch mit den schwedischen Künstlern: "Schon in der Wahl der Bildthemen besteht eine deutliche Übereinstimmung. Nicht nur bei Grünewald, Hjerten und Jolin stellen Figurenkompositionen, Bildnisse, Interieurs und Stadtlandschaften bevorzugte Bildthemen dar. … Darüber hinaus orientiert sich Münter auch farblich und formal an der Malweise dieser Künstler, denn in ihren Bildern finden sich jetzt Anklänge an den dekorativen Expressionismus von Matisse, insbesondere an seine rhythmische Linienführung. Dabei wird vor allem in den Bildnissen und Figurenbildern das Körpervolumen – oft zugunsten einer idealisierenden Wiedergabe von Menschen – einer geschwungenen Linie untergeordnet."
Besonders das weibliche Bildnis wird für Münter in diesen Jahren, und noch weit bis in das nächste Jahrzehnt, zum bevorzugten Thema. Im Frühjahr 1917 schuf Münter einen Zyklus großer, sinnbildhafter Porträts mit Titeln wie "Zukunft", "Sinnende" oder "Krank", in denen die Frauenfigur zugleich Trägerin einer psychologischen Botschaft von Warten, Hoffen, Sinnen oder Leiden ist. Auf jedem der genannten Bilder und weiteren Porträts dieser Zeit saß eine junge Schwedin jüdischer Abstammung, Gertrude Holz, Modell.
Das Bild der "Sinnenden" zeigt sie in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, dessen Begrenzung durch das niedrige Querformat zu allen Seiten überschnitten ist. Sie sitzt als Halbfigur, nachdenklich am Betrachter vorbeiblickend, nah am vorderen Bildrand vor einem Tisch mit stilllebenhaftem Arrangement von Blumen, Äpfeln und Lampe, der den Bildraum ebenso jäh abschneidet wie die dunkelgrünen Polster und das undurchsichtige, teilweise mit Vorhängen verdeckte Fenster direkt hinter ihm. Der Kopf der "Sinnenden", der im Gegensatz zu ihrem auffallend abstrakt gestalteten Leib besonders ausgearbeitet ist, wird durch die mattblauen Blumen hinter ihr zusätzlich betont. Der gebrochene Rhythmus der schwarzen Linien in der flächigen Gesamtkomposition und die kühlen, mit Schwarz gemischten Farben von dunklem Rot, Grün und Mattgrau verstärken den melancholischen Grundton der Darstellung und lassen den Zusammenhang mit Münters eigener seelischer Verfassung in dieser Zeit besonders eindringlich werden.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.
Sabine Windecker schreibt über diesen Wechsel in Stil und Themenwahl Münters durch den Austausch mit den schwedischen Künstlern: "Schon in der Wahl der Bildthemen besteht eine deutliche Übereinstimmung. Nicht nur bei Grünewald, Hjerten und Jolin stellen Figurenkompositionen, Bildnisse, Interieurs und Stadtlandschaften bevorzugte Bildthemen dar. … Darüber hinaus orientiert sich Münter auch farblich und formal an der Malweise dieser Künstler, denn in ihren Bildern finden sich jetzt Anklänge an den dekorativen Expressionismus von Matisse, insbesondere an seine rhythmische Linienführung. Dabei wird vor allem in den Bildnissen und Figurenbildern das Körpervolumen – oft zugunsten einer idealisierenden Wiedergabe von Menschen – einer geschwungenen Linie untergeordnet."
Besonders das weibliche Bildnis wird für Münter in diesen Jahren, und noch weit bis in das nächste Jahrzehnt, zum bevorzugten Thema. Im Frühjahr 1917 schuf Münter einen Zyklus großer, sinnbildhafter Porträts mit Titeln wie "Zukunft", "Sinnende" oder "Krank", in denen die Frauenfigur zugleich Trägerin einer psychologischen Botschaft von Warten, Hoffen, Sinnen oder Leiden ist. Auf jedem der genannten Bilder und weiteren Porträts dieser Zeit saß eine junge Schwedin jüdischer Abstammung, Gertrude Holz, Modell.
Das Bild der "Sinnenden" zeigt sie in einem hermetisch abgeschlossenen Raum, dessen Begrenzung durch das niedrige Querformat zu allen Seiten überschnitten ist. Sie sitzt als Halbfigur, nachdenklich am Betrachter vorbeiblickend, nah am vorderen Bildrand vor einem Tisch mit stilllebenhaftem Arrangement von Blumen, Äpfeln und Lampe, der den Bildraum ebenso jäh abschneidet wie die dunkelgrünen Polster und das undurchsichtige, teilweise mit Vorhängen verdeckte Fenster direkt hinter ihm. Der Kopf der "Sinnenden", der im Gegensatz zu ihrem auffallend abstrakt gestalteten Leib besonders ausgearbeitet ist, wird durch die mattblauen Blumen hinter ihr zusätzlich betont. Der gebrochene Rhythmus der schwarzen Linien in der flächigen Gesamtkomposition und die kühlen, mit Schwarz gemischten Farben von dunklem Rot, Grün und Mattgrau verstärken den melancholischen Grundton der Darstellung und lassen den Zusammenhang mit Münters eigener seelischer Verfassung in dieser Zeit besonders eindringlich werden.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.