Werktext
Im Oktober 1913 siedelte August Macke von Bonn nach Hüterfingen am Thuner See in der Schweiz über. Die hier bis Juni 1914 verbrachte Zeit war für ihn die glücklichste Schaffensperiode. Hier entwickelte sich seine Kunst mit den gelösten, strahlenden Bildern des 'Spätwerks' zur vollen Reife. Der Kreis seiner Themen blieb auch hier begrenzt auf seinen eigenen Kosmos: Spaziergänger unter Bäumen, auf der Uferpromenade, Frauen vor dem Schaufenster, badende Mädchen.
"Kinder mit Ziege" entstand am Beginn dieser "sommerlich warmen, strahlenden Herbstwochen", an die sich Elisabeth Erdmann-Macke in ihrem Lebensbericht erinnert. Mit bemerkenswerter Beobachtungsgabe charakterisiert sie das Anliegen, das Macke nun mit neuen Ansätzen in seinen Bildern verfolgt: "Was August Macke damals am meisten beschäftigte, war das Dynamische in einem Bild, nicht nur durch die formale Einteilung des Raumes ausgedrückt, sondern vor allem durch das Spiel der Farbtöne gegeneinander, untereinander: Selbst in einer gleichmäßigen, sagen wir grünen Fläche darf keine tote Stelle sein, die Farbe muss arbeiten, vibrieren – leben. Augusts ganzes Streben ging darauf hinaus, die reinen Farbtöne in einem Bild so zu nuancieren und in Einklang zu bringen, dass trotz der notwendigen Kontraste eben so eine große Harmonie und Bildeinheit zustande kam." Tatsächlich beginnt in "Kinder mit Ziege" das Grün des Laubwerks in aufgefächerten satten Farbnuancen zu vibrieren, die das Auge zwischen den einzelnen Partikeln hin und her gleiten lassen. In einer hellen, fast weißen Lichtzone erscheinen die Kinder umschlossen von diesem Grün, wohl behütet in ihrem sorglosen Tun und ganz in das Spiel der farbigen Massen eingebunden.
Die durch den 'simultanen' Kontrast der Farben erzielte Lebendigkeit und Bewegung des Bildes wird zum Leitmotiv aller späten Werke Mackes. Bereits zuvor hatte er die Dimensionen von Zeit und Bewegung in den kantigen Strukturen des Futurismus und Orphismus umzusetzen versucht.Von entscheidender Bedeutung wurde ihm jedoch die Begegnung mit den Bildern des Franzosen Robert Delaunay, dessen Stadtlandschaften und Eiffelturm-Bilder er bereits von der 'Blauen Reiter'-Ausstellung und aus dem Almanach kannte. Zwei Jahre später, im März 1913, sah Macke die Serie der "Fensterbilder" von Delaunay im Kölner Gereons-Club und war von ihren vibrierenden farbigen Prismen stark beeindruckt. In einer Notiz von 1914 schreibt er: "Das Leben auf den Moment zusammendrängen, desgleichen Raum. Wir nehmen das Licht sehr schnell auf. Die einzelnen Teile des Bildes gehen sehr schnell in uns ein. Es bleibt der Unterschied zwischen Nacheinander und gleichzeitiger Lebendigkeit." Während bei Delaunay das Material der Farben selbst, ihre Form schaffenden Energien, Intervalle und Kontraste Thema der Malerei wird, will Macke damit das Leben in der Einheitlichkeit seiner Erscheinungen, als eine "große Harmonie" erfassen.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.
"Kinder mit Ziege" entstand am Beginn dieser "sommerlich warmen, strahlenden Herbstwochen", an die sich Elisabeth Erdmann-Macke in ihrem Lebensbericht erinnert. Mit bemerkenswerter Beobachtungsgabe charakterisiert sie das Anliegen, das Macke nun mit neuen Ansätzen in seinen Bildern verfolgt: "Was August Macke damals am meisten beschäftigte, war das Dynamische in einem Bild, nicht nur durch die formale Einteilung des Raumes ausgedrückt, sondern vor allem durch das Spiel der Farbtöne gegeneinander, untereinander: Selbst in einer gleichmäßigen, sagen wir grünen Fläche darf keine tote Stelle sein, die Farbe muss arbeiten, vibrieren – leben. Augusts ganzes Streben ging darauf hinaus, die reinen Farbtöne in einem Bild so zu nuancieren und in Einklang zu bringen, dass trotz der notwendigen Kontraste eben so eine große Harmonie und Bildeinheit zustande kam." Tatsächlich beginnt in "Kinder mit Ziege" das Grün des Laubwerks in aufgefächerten satten Farbnuancen zu vibrieren, die das Auge zwischen den einzelnen Partikeln hin und her gleiten lassen. In einer hellen, fast weißen Lichtzone erscheinen die Kinder umschlossen von diesem Grün, wohl behütet in ihrem sorglosen Tun und ganz in das Spiel der farbigen Massen eingebunden.
Die durch den 'simultanen' Kontrast der Farben erzielte Lebendigkeit und Bewegung des Bildes wird zum Leitmotiv aller späten Werke Mackes. Bereits zuvor hatte er die Dimensionen von Zeit und Bewegung in den kantigen Strukturen des Futurismus und Orphismus umzusetzen versucht.Von entscheidender Bedeutung wurde ihm jedoch die Begegnung mit den Bildern des Franzosen Robert Delaunay, dessen Stadtlandschaften und Eiffelturm-Bilder er bereits von der 'Blauen Reiter'-Ausstellung und aus dem Almanach kannte. Zwei Jahre später, im März 1913, sah Macke die Serie der "Fensterbilder" von Delaunay im Kölner Gereons-Club und war von ihren vibrierenden farbigen Prismen stark beeindruckt. In einer Notiz von 1914 schreibt er: "Das Leben auf den Moment zusammendrängen, desgleichen Raum. Wir nehmen das Licht sehr schnell auf. Die einzelnen Teile des Bildes gehen sehr schnell in uns ein. Es bleibt der Unterschied zwischen Nacheinander und gleichzeitiger Lebendigkeit." Während bei Delaunay das Material der Farben selbst, ihre Form schaffenden Energien, Intervalle und Kontraste Thema der Malerei wird, will Macke damit das Leben in der Einheitlichkeit seiner Erscheinungen, als eine "große Harmonie" erfassen.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.