Wenn Bilder
lebendig werden

Ein Besuch im Grundschulworkshop zur Ausstellung "Gabriele Münter. Malen ohne Umschweife"

Von Charlotte Coosemans.

Wer war die Künstlerin Gabriele Münter? Was hat sie bewegt, was angetrieben? Was hat sie wie in ihr malerisches und fotografisches Werk übersetzt und in den Blick genommen? Fragen wie diesen wird in den Workshops zur Ausstellung "Gabriele Münter. Malen ohne Umschweife" nachgegangen. Charlotte Coosemans, unsere Volontärin in der Kunstvermittlung, hat sich mit einer Grundschulklasse auf die Spuren Gabriele Münters begeben.

Bevor es in die Ausstellung geht, werden Werktitel gelost, denn für unser Experiment müssen wir noch unvoreingenommen sein. Eine Gruppe zieht "Am Strand" (1919), eine andere "Theaterparodie: Kuss, Marshall, Texas" (1899/1900) und auch "Kandinsky und Erma Bossi am Tisch (Nach Tisch)" (1912) ist dabei. Welche Vorstellungen und Bilder entstehen in unseren Köpfen, wenn wir diese Titel lesen? Welche Beziehung besteht zwischen einem Kunstwerk und seinem Titel? Um diesen Fragen nachzugehen, inszenieren wir uns ausgehend von den Werktiteln als Tableau Vivant, als ein lebendes Bild. Drei Mädchen schneiden Grimassen, zeigen ihre Zähne und Krallen – "Der blaue Dämon" (1931) steht auf ihrem Los. Die nachgestellten Szenen werden mit einer Polaroidkamera fotografisch festgehalten und in der Ausstellung mit den Werken Gabriele Münters verglichen. Zwischen dem Tableau Vivant der Schülerinnen und Schüler zum Titel "Kandinsky und Erma Bossi am Tisch (Nach Tisch)" (1912) und dem Original stellen wir bspw. viele Unterschiede fest: "Ich war Kandinsky." – "Ich dachte eigentlich auch, dass ich Kandinsky war." Es stellt sich heraus, dass aus Kandinsky und Erma Bossi vier Kandinskys am Tisch wurden. Worüber sie sich wohl unterhielten?

Neben "Kandinsky und Erma Bossi am Tisch (Nach Tisch)" hängt ein Bild, das fast identisch aussieht, aber zwei Jahre früher gemalt wurde. Warum malt man mehrmals das gleiche Bild? "Mir hat einmal das Bild, das ich gemalt hatte nicht gefallen, deshalb habe ich es noch einmal gemalt", berichtet eine Schülerin. Genauso könnte es Gabriele Münter damals auch gegangen sein. Durch das Experimentieren mit denselben Motiven untersuchte sie, wie möglichst spannende Bildkompositionen entstehen. In der späteren Version sind wir als Betrachterinnen und Betrachter dem Gespräch zwischen Kandinsky und Erma Bossi viel näher gerückt als in der anderen.

Im Tableau Vivant zum Titel "Am Strand" (1919) sind zwei Beachvolleyball-Spieler zu sehen. Daneben sonnen sich zwei Personen, eine liest ein Buch, die andere ist schon eingedöst. Vor dem gleichnamigen Werk Gabriele Münters bemerken die Schülerinnen: "Heute haben die Menschen am Strand Badeanzüge, Bikinis oder Badehosen an. Auch Cappies tragen viele." Auf Münters Gemälde tragen drei Frauen hingegen lange weiße Kleider und Hauben. Ausgehend von Gabriele Münters Werken richten wir unsere Blicke auf unsere eigene Lebenswelt und stellen fest, was für uns heute ganz selbstverständlich ist. Vor dem Werk "Kleines Mädchen im Sonntagsstaat auf einer Straße, Rückenansicht, St. Louis, Missouri" (1900) bemerkt ein Schüler bspw.: "Die Straße wäre geteert, es gäbe Straßenlaternen und Autos würden fahren."

Ein Anliegen der Ausstellung ist es, Besucherinnen und Besucher dazu anzuregen, sich durch eigene Betrachtungsweisen den Werken Gabriele Münters zu nähern. Daran knüpft unser Vermittlungsprogramm an: Über das praktische Tun entsteht ein direkter Bezug zu den Werken und zur eigenen Umgebung und Lebenswelt – und viel Gesprächsstoff. Ein Foto bleibt geheim: Die Gruppe mit dem Los "Theaterparodie: Kuss, Marshall, Texas" (1899/1900) möchte ihr Tableau Vivant lieber nicht der Allgemeinheit präsentieren. Wie und wen man küsst ist schließlich etwas Persönliches.

Das Vermittlungsprogramm wird als altersdifferenzierter Ablauf für Grund-, beziehungsweise weiterführende Schulen angeboten. Menschen jeden Alters können an den Familienworkshops teilnehmen.

Charlotte Coosemans ist Volontärin in der Kunstvermittlung im Lenbachhaus. Im Workshop hat sie gelernt, dass unsere Wahrnehmung viel mehr ist, als das was wir sehen – sie wird durch unsere Erfahrungen und Erlebnisse geprägt.

Sie möchten mehr über Gabriele Münter erfahren? Ein Interview mit der stellvertretende Direktorin des Kölner Museum Ludwig Rita Kersting in dem die Ausstellung ab dem 14. September 2018 zu sehen war finden Sie hier.

Veröffentlicht am 20. Dezember 2017