Provenienz
forschung
"Woher kommen eigentlich die Bilder?"
Der Begriff der Provenienzforschung (Herkunftsforschung) ist in den vergangenen Jahren immer mehr in den Fokus der Medien und der Öffentlichkeit gerückt. Seit dem so genannten "Washingtoner Abkommen" von 1998 und der darauf folgenden "Gemeinsamen Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz" vom Dezember 1999 sind alle Museen in Deutschland aufgefordert, ihre Bestände zu überprüfen und verfolgungsbedingt entzogene Kunstgegenstände oder Kulturgüter an die rechtmäßigen Besitzer oder deren Erben zurückzugeben (zu restituieren).
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Provenienzrecherche- und Forschung zu einem eigenständigen Forschungszweig entwickelt. Ein immer größer werdendes Netzwerk von Kunsthistorikern und Historikern beleuchtet dabei nicht nur die Herkunft einzelner Kunstgegenstände, sondern auch historische Entwicklungen, Hintergründe und Zusammenhänge. In vielen Fällen beschäftigen sich die Untersuchungen mit der Zeit des Nationalsozialismus, so zum Beispiel auch das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt "Das Schicksal jüdischer Kunstsammler und Händler in München 1933-45", das als Kooperation der Staatlichen und Städtischen Museen in München seit 2009 erarbeitet und im Laufe dieses Jahres mit einer Publikation abgeschlossen wird .
Die Städtische Galerie im Lenbachhaus prüft seine Sammlungsbestände seit dem "Washingtoner Abkommen" systematisch nach ehemaligem jüdischem und unrechtmäßig entzogenem Kunstbesitz. Die ersten Restitutionen aus der Städtischen Galerie erfolgten aber schon in den Nachkriegsjahren: Als erstes Werk wurde 1949 Max Slevogts Bild "Deutscher Adler und englischer Löwe" (1900) an den Central Art Collecting Point in München zurückgegeben. Es hängt heute im Israel Museum of Art in Jerusalem. Es folgte eine große Zahl weiterer Kunstwerke. Zuletzt wurde im Frühjahr 2012 das Gemälde "Abend in Gern" des Künstlers Philipp Röth an die Bona Terra-Stiftung, Genf, als Erbin von Dr. Max Meirowsky restituiert.
Hinter jedem einzelnen Fall verbirgt sich eine individuelle Geschichte, so dass die Recherche nicht nur eine sehr sorgfältige Vorgehensweise, sondern auch eine differenzierte Beurteilung historischer Daten und Dokumente verlangt. Einträge in der Bestandskartei oder im Inventarbuch, Rückseiten von Originalgemälden oder Archivakten werden für die oft detektivische Arbeitsweise im Bereich der Provenienzforschung herangezogen. Oft sind es kleinste Hinweise oder Notizen, die den entscheidenden Schlüssel zu einem Fall liefern.
Die Provenienzforschung gilt als eine zentrale Methode der Kunstgeschichte und konzentriert sich nicht ausschließlich auf die Erforschung von Kunstwerken, die in der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt oder verfolgungsbedingt entzogen wurden – auch wenn dieser Bereich gerade in Hinblick auf unsere Erinnerungs- und Gedenkkultur sicher den wichtigsten und zentralen Aspekt umfasst. Doch unabhängig davon kann man durch Provenienzrecherchen zu einzelnen Kunstwerken (oder auch Konvoluten) viel Wissenswertes erfahren und zu einem tieferen Verständnis für die Objekte gelangen. Auch für die Echtheitsbestätigung von Kunstwerken spielt die Provenienz – neben der stilkritischen Bewertung und naturwissenschaftlichen Untersuchungen – eine wichtige Rolle.
Im Kontext eines Museums ist Provenienzforschung außerdem immer aufs Engste mit der Erforschung der eigenen Institutions- und Sammlungshistorie verbunden: Das Lenbachhaus beispielsweise blickt auf eine Geschichte von mehr als 80 Jahren zurück. Im Sammlungsarchiv des Lenbachhauses werden alle historischen Unterlagen aufbewahrt, die für die Provenienzrecherche und Erforschung der Museumsgeschichte und des Sammlungsbestandes benötigt werden.
Irene Netta und Lisa Kern sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Bereich Kunstsammlung, Archiv und Provenienzforschung im Lenbachhaus.
Veröffentlicht am 16. Januar 2013