Ein geschlossenes
Museum macht
viel Arbeit
von Matthias Mühling.
Ein Museum mit sehr kleinem Personalstamm – insbesondere auch im Bundesdurchschnitt gesehen –, das mit einer hohen Frequenz Ausstellungen und Veranstaltungen erarbeitet und zudem eine hohe Zahl an Leihgaben in die Welt schickt, scheint mir durch die derzeitigen Schließungen besonders betroffen und gefordert.
So ist die erste und für viele vielleicht überraschende Tatsache, dass die Schließung eines Museums sehr viel zusätzliche Arbeit produziert. Die gesamte Entwicklung unseres Programms braucht Jahre und muss nun in wenigen Wochen neu aufgestellt werden. Im Lenbachhaus finden pro Jahr etwa acht Ausstellungen und rund 2.500 Führungen, Workshops und Veranstaltungen statt.
Allein die Stornierungen gebuchter Führungen, die Verschiebung und das Absagen der Veranstaltungen kosten unsere Mitarbeiter*innen im Besucherdienst, in der Vermittlung und Programmgestaltung viele Tage Arbeit. Unsere Ausstellungen sind von langer Hand vorbereitet, sie haben nicht nur einen mehrjährigen Vorlauf, der bei Leihgaben aus aller Welt notwendig ist, sondern oft auch weitere, häufig internationale Stationen. Allein die Verschiebung nur einer Ausstellung ergibt einen logistischen und kommunikativen Aufwand, als würden wir ein neues Projekt entwickeln. Verhandlungen mit den beteiligten Museen und Leihgebern, Umplanungen der gesamten Medienstrategie, Neubuchungen des Aufbauteams und von Spediteuren zum Beispiel brauchen sehr viel Detailplanung und sind zeitaufwendig.
Das Lenbachhaus verleiht im Jahr ca. 500 Kunstwerke. Diese Kunstwerke "reisen" mit Spezialspeditionen oft mit Kurierbegleitungen. Es gibt aufwendige Versicherungspolicen, Zollformalitäten, Verträge über Rückgabegarantien, Kulturgüterschutz und Stadtratsbeschlüsse, die diese Aktivitäten absichern und vertraglich rahmen. Alle diese Dinge können nur innerhalb vertraglich festgelegter Zeiträume stattfinden, die nun alle über den Haufen geworfen wurden. Auch hier ist fast jeder laufende Vorgang und dessen Abwicklung von Änderungen betroffen, und auch hier müssen Verträge und Zeitpläne geändert oder Absagen behandelt werden.
Doch im Moment fehlen uns und unseren Kooperationspartnern sowohl Planungssicherheit wie auch die für die Weiterentwicklung des Programms notwendige Zeit, wenn die zukünftigen Projekte uns allen nun doppelten Aufwand verursachen.
Wir freuen uns aber, dass wir die Ausstellung "Sheela Gowda. It.. Matters" noch rechtzeitig fertigstellen konnten, sodass sie dem Publikum zugänglich sein wird, sobald wir wieder öffnen können. Der Endspurt erfolgte bereits unter Ausgangsbeschränkungen und mit reduziertem Personal unter enorm erschwerten Bedingungen.
Noch bis mindestens 10. Mai gelten die staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Verbreitung, also auch die Schließungen der Museen und anderer Kultureinrichtungen. Nächste Woche wird der Freistaat Bayern voraussichtlich mitteilen, was darüber hinaus gilt.
In der Zwischenzeit bereiten wir ein Hygiene- und Sicherheitskonzept für die Wiederöffnung vor. Hierbei richten wir uns nach den Empfehlungen des Deutschen Museumsbundes und agieren in enger Zusammenarbeit mit den anderen städtischen Museen und in Absprache mit den Staatlichen Häusern und den zuständigen Genehmigungsbehörden. Wir wollen vorbereitet sein, denn wir brauchen in jedem Fall mindestens drei Wochen Vorlaufzeit, um die notwendigen Maßnahmen und Auflagen umsetzen zu können.
Problematisch ist, dass wir derzeit personell fast um ein Drittel reduziert sind. Mitarbeiter*innen, die aus verschiedenen Gründen von Krankheit bis Kinderbetreuung freigestellt sind, andere die nur eingeschränkt im Home-Office arbeiten können oder diejenigen, die bei der Feuerwehr oder beim Referat für Arbeit und Wirtschaft wichtige Unterstützung leisten, fehlen uns schmerzlich bei der aktuellen Arbeit wie auch für die langfristige Vorbereitung von Projekten.
Für unser wissenschaftliches Personal geht die "normale" Arbeit nach wie vor weiter. Da die großen Projekte generell eine Vorlaufzeit von bis zu drei Jahren haben, ändert sich an deren Arbeit wenig. So arbeiten die Kuratorinnen und Vermittlerinnen seit gut zwei Jahren an der sammlungsübergreifenden Ausstellung "Gruppendynamik – Der Blaue Reiterund Künstlerkollektive der Moderne", die durch die Kulturstiftung des Bundes mit 800.000,- € gefördert wird und 2021 eröffnet. Ein erster Teil des Projekts wäre das Symposium mit internationalen Expert*innen gewesen, das Ende April im Lenbachhaus stattgefunden hätte. Die Vorträge werden nun aufgezeichnet und ins Netz gestellt.
Unsere Kommunikationsabteilung ist während der Schließung besonders gefragt, um die Sichtbarkeit des Hauses digital zu stärken und den Menschen, die die Ausstellungen nun nicht besuchen können, die Inhalte unseres Programms digital zugänglich zu machen.
Weiter arbeiten wir seit Monaten an einem großen Gemeinschaftsprojekt mit der Tate Modern in London für 2023; wir begleiten die Ausstellung "Senga Nengudi", sie tourt gerade nach Brasilien und geht anschließend nach Denver und hoffentlich auch noch nach Philadelphia. Unsere Ausstellung "Lebensmenschen" wird aktuell in Wiesbaden gezeigt, reist danach nach Ascona im Tessin. Intensiv arbeiten wir zur Zeit an den letzten Details einer Ausstellung zum Werk von Gabriele Münter, die in Paris am Musée d‘Art gezeigt wird und anschließend im Zentrum Paul Klee in Bern. Intensiv verhandeln wir im Moment über eine Kooperation mit der Power Station in Shanghai – über das Außenministerium - können wir die ersten zarten Bande knüpfen und nun, nach einem Jahr Vorarbeiten, steht alles wieder in den Sternen. Unsere Wissenschaftlerinnen, die Restaurierungsabteilung sowie die Registrar*innen sind in diese Arbeiten besonders stark involviert.
Als Museum sind wir auch ein Unternehmen, welches mit vielen externen Firmen und Dienstleistern verzahnt ist; die Landeshaupstadt München hat Flächen in unserem Haus an einen Buchladen und ein Restaurant verpachtet, hinzu kommen viele Partner, von der Elektriker-Firma über Grafikbüros bis zu externen Kunstvermittler*innen, mit denen wir zusammen normalerweise einen lebendigen Museumsbetrieb gestalten. Dahinter stehen Menschen, die nicht einfach ab- und wieder einbestellt werden können, als würde man einen Wasserhahn zu- und wieder aufdrehen. In der aktuellen Schließungssituation läuft der Betrieb des Museums in vielen organisatorischen Bereichen durchaus weiter. Unser externes Wach-Personal ist zwar auf die Hälfte reduziert, bewacht aber weiterhin das Gebäude. München Ticket, das unsere Kassen betreut, ist zum Teil mit Stornos und Rückerstattungen von Eintrittsgeldern von Veranstaltungen aller Art beschäftigt, das Reinigungspersonal wird nach wie vor voll benötigt. Die Kolleg*innen der Buchhandlung Walther König genauso wie die Mitarbeiter*innen des Restaurant Ella mussten jedoch in Kurzarbeit gehen. Unser externes Vermittlungsteam versuchen wir, soweit dies überhaupt geht, mit der Vorbereitung von Führungskonzepten für das kommende Programm und Online-Formaten weiter zu beschäftigen. Wir sind uns unserer Verantwortung als Auftraggeber für externe Mitarbeiter*innen bewusst und tun unser Möglichstes, die Folgen für das Personal abzufedern.
Die "Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung" betreibt ein kleines und sehr feines Museum, das Münterhaus in Murnau. Dort erwirtschaften elf Mitarbeiter*innen normalerweise die Finanzmittel, die notwendig sind, um den Betrieb zu finanzieren. Im Gegensatz dazu sind die meisten von uns im Lenbachhaus Angestellte im öffentlichen Dienst, mit einem gesicherten Gehalt. Damit gehören wir zu den privilegiertesten Arbeitnehmer*innen in unserer Gesellschaft. Alles, was wir tun, muss sich auch daran messen lassen. Insbesondere, wenn wir die vielen Kulturproduzent*innen und Künstler*innen im Blick haben, auf die wir immer angewiesen waren und angewiesen sein werden: ihre Arbeit steht im Zentrum eines Museums und ihre Existenzen sind nun äußerst prekär. Unsere Verantwortung besteht also auch darin, das geplante Programm, soweit es irgendwie möglich ist, zu verwirklichen und unsere Versprechen unseren Partnern gegenüber möglichst einzuhalten.
In dieser Situation erwarten nun viele Menschen von uns, dass wir spontan ganz neue Dinge entwickeln, neue Wege gehen: die digitale Kommunikation und Zugänglichkeit ausbauen, virtuellen Ersatz für Ausstellungen oder Veranstaltungen bieten oder auch nur unterhaltsame Videos zu unserer Sammlung drehen. Derzeit wird oft davon gesprochen, dass die "Krise" in gewissen Bereichen auch eine Chance biete, "innezuhalten" und nachzudenken. Bisher war dafür keine Zeit.
Wir glauben jedoch, dass dieses Nachdenken insbesondere den digitalen Formaten gelten muss, die derzeit wild wuchern. Museen sind durch viele "Krisen" ihrer institutionellen Verfasstheit gegangen. Künstler*innen haben in den letzten Jahren insbesondere durch die Institutionskritik die ideologischen Schwachstellen transparent gemacht und die Museen fast forensisch durchleuchtet, genau danach gefragt, wer was zeigt, warum, und mit welchem Geld, zu welchem Zweck, mit welcher Absicht. Nun, nach nur wenigen Wochen mit geschlossenen Türen, sollen die Museen sich mit Instagram, Facebook und anderen Plattformen begnügen, deren "Community Guidelines" klassische Transgressionen der Kunst oder einfach nur Nacktheit untersagen. Wenn wir also derzeit eine intensive, institutionelle Diskussion brauchen, dann muss es um die Frage gehen, was Digitalität bedeutet, wie wir uns auf welchen Plattformen darstellen wollen, oder auch welche Alternativen sein könnten.
Zu hoffen bleibt natürlich, dass es bald wieder physische Orte geben wird, an denen wir "sozial" miteinander interagieren können. Denn das ist es, was ein Museum ausmacht: Menschen, die sich und der Kunst begegnen und sich dort austauschen können. Solche Begegnungen, die das Leben bereichern können, sind das größte Kapital, dass uns bisher immer zugänglich war, und das wir in der Zeit einer Schließung durch nichts ersetzen können.
Veröffentlicht am 29. April 2020.