Werktext
Die "Sumpflegende" ist zusammen mit "Vollmond", "Komposition mit Fenstern" und "Villa R" eines der ersten Ölbilder Klees, die er nach einer langen Reihe von graphischen Blättern, Zeichnungen und schließlich farbigen Aquarellen schuf. Allen diesen frühen Gemälden, mit denen Klee eine endgültige Wendung zum Tafelbild vollzog, ist eine Verschränkung von Gebautem und Gewachsenem, von Anorganischem und Organischem gemeinsam, die zu einem Leitgedanken in seinem Schaffen werden sollte.
In "Sumpflegende" tauchen aus dem erdbraun und grün oszillierenden, feuchten pflanzlichen Leben des Grundes die weiß geritzten geometrischen Formen von Fenstern und Dächern auf; darüber verstreut die ebenfalls weißen Zeichen kleiner Tannen und fächerförmiger Pflanzen, unten ein winziges Strichmännchen. Sind bereits diese Elemente, zudem in ein Netz haarfeiner, kaum wahrnehmbarer schwarzer Striche gelegt, untrennbar miteinander und mit dem Farbraum verwoben, so wird die Dialektik von organisierter und amorpher Form besonders deutlich in der horizontal geschichteten Architektur links im Bild, offenbar eine Kirche, die sich lediglich in ihrer tektonischen Struktur, nicht aber in der Farbigkeit vom sumpfigen Grund unterscheidet. Dazwischen aber wächst unheimlich, in seiner Herkunft nicht erklärbar, der überlange rötliche Hals einer menschlichen Figur auf, die ihren großen Kopf mit dem toten Auge über das Bild streckt.
Christian Geelhaar, Marcel Franciscono und Jim M. Jordan haben differenziert nachgewiesen, wie Klee in seinen Bildern um 1919-20 die Errungenschaften des Kubismus für seine Zwecke umformt. Besonders der vielschichtige, variable Einsatz der Bildmittel, den der Kubismus mit seiner Zertrümmerung der Form freigesetzt hatte, faszinierte Klee und erlaubte ihm eine komplexe Verstrickung und Gleichbehandlung aller Teile im Bild. Für Klee hatte der Kubismus damit die Möglichkeit der "bildanatomischen" und nicht "menschenanatomischen" Gestaltung freigesetzt, also ein freies Schalten mit jenem geheimnisvollen 'Zwischenreich' zwischen der sichtbaren Welt und dem Wesen der Dinge, zu dessen Schöpfer sich der Künstler in seinen Schriften selbst ernannte.
Den Wandel von einer realistischen in eine bildliche Dimension, den der Kubismus für die frühe Moderne vollzogen hatte, beschreibt Klee in einem für seine eigene Kunstauffassung höchst aufschlussreichen Kommentar zur Züricher Ausstellung von 1912: "Häuser, die sich einem interessanten Bildgerüst einfügen sollen, werden schief … Bäume werden vergewaltigt, Menschen werden lebensunfähig, es wird ein Zwang bis zur Unkenntlichkeit des Gegenstandes, bis zum Vexierbild. Denn hier gilt kein profanes Gesetz, hier gilt ein Kunstgesetz. Schiefe Häuser fallen im Bilde nicht, Bäume brauchen nicht weiter auszuschlagen, Menschen brauchen nicht zu atmen. Bilder sind keine lebenden Bilder …" In der "Sumpflegende" spiegelt sich zudem die Vorliebe Klees für die 'primitive' Kunst der Kinder und Geisteskranken, die in der kruden Hauptfigur aufscheint und den bildnerischen Kosmos durch ihr staunendes Schauen als Phantasmagorie erleben lässt.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.
Zur Provenienz der "Sumpflegende"
Das 1919 entstandene Kunstwerk gelangte direkt nach Fertigstellung aus dem Atelier von Paul Klee in die Sammlung von Dr. Paul Erich Küppers in Hannover. Nach dessen Tod 1922 erbte es seine Witwe Sophie, die 1927 El Lissitzky heiratete und nach Moskau übersiedelte. Bereits seit 1926 bewahrte das Provinzial-Museum in Hannover das Gemälde als Leihgabe auf, bis es dort beschlagnahmt, in der Propaganda Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937 an der „Dada Wand“ gezeigt und 1941 vom Deutschen Reich an das Kunstkabinett Hildebrand Gurlitt veräußert wurde. Gurlitt verkaufte das Kunstwerk an den Kunsthistoriker Dr. Hans Peters aus Bad Honnef, dessen Familie es nach Peters Tod im Dezember 1962 im Kölner Kunsthaus Lempertz versteigern ließ. Ersteigert wurde es auf der Auktion von der Galerie Ernst Beyeler, Basel, die es wenige Monate später bereits an den Kölner Anwalt und Sammler Dr. Josef Steegmann, weiter veräußerte. Steegmann verkaufte die "Sumpflegende" schließlich an die Galerie Rosengart in Luzern. Die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München sowie die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung erwarben das von der vorgenannten Galerie angebotene Werk 1982 zu gleichen Teilen.
Nach langjährigen Verhandlungen zwischen der Stadt München und den Erben der früheren Eigentümerin Sophie Lissitzky-Küppers kam es 2017 zu einer gütlichen Beilegung der Auseinandersetzung um das Kunstwerk. Dieser Vergleich konnte durch die großzügige Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder sowie der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung verwirklicht werden.
In "Sumpflegende" tauchen aus dem erdbraun und grün oszillierenden, feuchten pflanzlichen Leben des Grundes die weiß geritzten geometrischen Formen von Fenstern und Dächern auf; darüber verstreut die ebenfalls weißen Zeichen kleiner Tannen und fächerförmiger Pflanzen, unten ein winziges Strichmännchen. Sind bereits diese Elemente, zudem in ein Netz haarfeiner, kaum wahrnehmbarer schwarzer Striche gelegt, untrennbar miteinander und mit dem Farbraum verwoben, so wird die Dialektik von organisierter und amorpher Form besonders deutlich in der horizontal geschichteten Architektur links im Bild, offenbar eine Kirche, die sich lediglich in ihrer tektonischen Struktur, nicht aber in der Farbigkeit vom sumpfigen Grund unterscheidet. Dazwischen aber wächst unheimlich, in seiner Herkunft nicht erklärbar, der überlange rötliche Hals einer menschlichen Figur auf, die ihren großen Kopf mit dem toten Auge über das Bild streckt.
Christian Geelhaar, Marcel Franciscono und Jim M. Jordan haben differenziert nachgewiesen, wie Klee in seinen Bildern um 1919-20 die Errungenschaften des Kubismus für seine Zwecke umformt. Besonders der vielschichtige, variable Einsatz der Bildmittel, den der Kubismus mit seiner Zertrümmerung der Form freigesetzt hatte, faszinierte Klee und erlaubte ihm eine komplexe Verstrickung und Gleichbehandlung aller Teile im Bild. Für Klee hatte der Kubismus damit die Möglichkeit der "bildanatomischen" und nicht "menschenanatomischen" Gestaltung freigesetzt, also ein freies Schalten mit jenem geheimnisvollen 'Zwischenreich' zwischen der sichtbaren Welt und dem Wesen der Dinge, zu dessen Schöpfer sich der Künstler in seinen Schriften selbst ernannte.
Den Wandel von einer realistischen in eine bildliche Dimension, den der Kubismus für die frühe Moderne vollzogen hatte, beschreibt Klee in einem für seine eigene Kunstauffassung höchst aufschlussreichen Kommentar zur Züricher Ausstellung von 1912: "Häuser, die sich einem interessanten Bildgerüst einfügen sollen, werden schief … Bäume werden vergewaltigt, Menschen werden lebensunfähig, es wird ein Zwang bis zur Unkenntlichkeit des Gegenstandes, bis zum Vexierbild. Denn hier gilt kein profanes Gesetz, hier gilt ein Kunstgesetz. Schiefe Häuser fallen im Bilde nicht, Bäume brauchen nicht weiter auszuschlagen, Menschen brauchen nicht zu atmen. Bilder sind keine lebenden Bilder …" In der "Sumpflegende" spiegelt sich zudem die Vorliebe Klees für die 'primitive' Kunst der Kinder und Geisteskranken, die in der kruden Hauptfigur aufscheint und den bildnerischen Kosmos durch ihr staunendes Schauen als Phantasmagorie erleben lässt.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.
Zur Provenienz der "Sumpflegende"
Das 1919 entstandene Kunstwerk gelangte direkt nach Fertigstellung aus dem Atelier von Paul Klee in die Sammlung von Dr. Paul Erich Küppers in Hannover. Nach dessen Tod 1922 erbte es seine Witwe Sophie, die 1927 El Lissitzky heiratete und nach Moskau übersiedelte. Bereits seit 1926 bewahrte das Provinzial-Museum in Hannover das Gemälde als Leihgabe auf, bis es dort beschlagnahmt, in der Propaganda Ausstellung „Entartete Kunst“ in München 1937 an der „Dada Wand“ gezeigt und 1941 vom Deutschen Reich an das Kunstkabinett Hildebrand Gurlitt veräußert wurde. Gurlitt verkaufte das Kunstwerk an den Kunsthistoriker Dr. Hans Peters aus Bad Honnef, dessen Familie es nach Peters Tod im Dezember 1962 im Kölner Kunsthaus Lempertz versteigern ließ. Ersteigert wurde es auf der Auktion von der Galerie Ernst Beyeler, Basel, die es wenige Monate später bereits an den Kölner Anwalt und Sammler Dr. Josef Steegmann, weiter veräußerte. Steegmann verkaufte die "Sumpflegende" schließlich an die Galerie Rosengart in Luzern. Die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München sowie die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung erwarben das von der vorgenannten Galerie angebotene Werk 1982 zu gleichen Teilen.
Nach langjährigen Verhandlungen zwischen der Stadt München und den Erben der früheren Eigentümerin Sophie Lissitzky-Küppers kam es 2017 zu einer gütlichen Beilegung der Auseinandersetzung um das Kunstwerk. Dieser Vergleich konnte durch die großzügige Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder sowie der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung verwirklicht werden.