"Kommt vorbei im
Käuzchensteig"

Von Ulrike Ottinger.

„Kommt vorbei im Käuzchensteig“, sagte Maria Lassnig. Tabea Blumenschein und ich hatten gerade ihre Zeichentrickfilme im Berliner Arsenal Kino gesehen. Eine Figur entstand aus der anderen in permanenter und sehr überraschender Verwandlung. Gesichter zogen sich in die Länge und wieder in die Breite, gebaren Monster, aus denen immer wieder neue hervorquollen: zornige, witzige, groteske oder schalkhaft um die Ecke blickende. Es war wie in einem Spiegelkabinett, nur viel phantasievoller, künstlerischer.

Als ich viele Jahre später ein Filmepos über den Wiener Prater, diesen ältesten Lunapark der Welt, drehte und Maria Lassnig in ihrem Studio besuchte, fragte ich sie, ob sie nicht Lust hätte, im Zerrspiegelkabinett des Praters mit einem ihrer Tiere, mit denen sie sich ja auch porträtierte und in einem sehr eigenwilligen Dialog befand, mitspielen möchte. Sie war begeistert und fand, dass es ihr entsprach. Aber dann wurde der Sommer heißer und heißer und als die Dreharbeiten stattfanden, litt sie so unter der Hitze, dass sie mit ihren Freunden in die kühleren Bergregionen umziehen musste. Ich hätte sie so gerne dabei gehabt, denn der Film ist auch eine Hommage an meine Wiener Freunde Elfriede Jelinek, Elfriede Gerstel und Herbert J. Wimmer, die mit ihren für diesen Film geschriebenen und selbst vorgetragenen Beiträgen dabei sind. Über die „drei Elfrieden“, so werden die drei Schriftstellerinnen in Wien genannt, die dritte im Bunde, Elfriede Czurda, war gerade in Japan, hatte ich Mitte der 70er Jahre bereits von Maria Lassnig gehört, die damals in den USA lebte.

Als sie 1978 mit einem DAAD Stipendium nach Berlin kam und in einem Künstlerprogramm im Arsenal ihre Kurzfilme zeigte, kam es dann zur Einladung in ihr Atelier. Ich hatte mit Tabea Blumenschein kurz zuvor meinen Film „Madame X“ gedreht, der hohe Wellen schlug und heftig diskutiert wurde. Maria Lassnig, neu in Berlin, wurde von uns überall mit hingenommen und war auf unseren Festen und Abendessen dabei, damals immer verbunden mit Vorführungen und Performances von uns und den künstlerischen Arbeiten unserer Gäste.

Eines Abends fragte Maria Lassnig Tabea und mich, ob wir nicht Lust hätten, uns Porträtieren zu lassen. Das hatten wir, und so begannen die Sitzungen im Käuzchensteig. Es waren fünf oder sechs und ich fragte, ob ich fotografieren dürfte. Ich durfte, stellte ein Stativ auf, und wer gerade nicht im Bild war, drückte auf den Auslöser, nachdem ich alles eingestellt hatte. Das Farbfoto, auf dem wir alle drei zu sehen sind, wurde mit einer zweiten Kamera gemacht, die einen Selbstauslöser hatte. Die Sitzungen waren sehr konzentriert und schweigsam. Maria Lassnig liebte es nicht, dabei zu sprechen. Während sie arbeitete, gab sie kleine Laute von sich, die – je nachdem – entweder zufrieden oder auch ärgerlich klangen. Dabei blickte sie in raschem Wechsel zu uns und auf die Leinwand. Aber manchmal blieben ihre Augen auch nur an der Leinwand haften und man hatte den Eindruck, sie hätte uns gänzlich vergessen. Es war etwas sehr Besonderes und Schönes, sie arbeiten zu sehen. Nach den Sitzungen wurde es dafür sehr viel lebhafter. Wir gingen hinaus in den Grunewald, in dem die vom DAAD angemieteten Studios lagen. Der Bildhauer Arno Breker hatte seines im Nationalsozialismus für seine überdimensionierten Ansprüche bauen lassen. Auch darüber sprachen wir, wenn wir zusammen kochten oder zu Oswald und Ingrid Wiener ins Exil essen gingen. Beide hat sie in einem großartigen Porträt ebenfalls festgehalten.

In den 80er Jahren besuchte ich Maria Lassnig noch in ihrem alten Atelier in Schönbrunn. Sie zeigte mir ihre zuletzt gemalten Bilder und holte dann auch das Porträt hervor, das sie mir schenken wollte. Glücklich, aber auch etwas erschrocken über die großzügige Geste, kaufte ich es für einen Freundschaftspreis. Es war wenig, aber alles, was ich damals besaß.

Ulrike Ottinger (geb. 1942) ist Filmemacherin, Malerin und Fotografin. In den 1960er Jahren hielt sie sich in Paris auf; in dieser Zeit entstand ein Konvolut an Gemälden und Serigraphien im Stil der Pop Art. Aus diesem Konvolut besitzt das Lenbachaus wichtige Arbeiten, die derzeit in einem von Ulrike Ottinger selbst mit eingerichteten Raum im Rahmen von I’m a Believer. Pop Art und Gegenwartskunst aus dem Lenbachhaus und der KiCo Stiftung zu sehen sind.


Veröffentlicht am 6. Juni 2019