Zerstörter Ort von Paul Klee

Paul Klee, Zerstörter Ort, 1920, 215

Details

Datierung
1920, 215
Objektart
Gemälde
Material
Öl auf Papier mit Silberrand, auf graublauem Karton aufgezogen, auf Karton
Maße
22,3 cm x 19,5 cm
Signatur / Beschriftung
u. l.: Klee; auf dem Karton u. l.: 1920/215; u. r.: Zerstörter Ort
Ausgestellt
In "Der Blaue Reiter"
Inventarnummer
G 15638
Zugang
Schenkung 1978
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
Zitiervorschlag / Permalink
Paul Klee, Zerstörter Ort, 1920, 215, Öl auf Papier mit Silberrand, auf graublauem Karton aufgezogen, auf Karton, 22,3 cm x 19,5 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, © CC BY NC SA
https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/zerstoerter-ort-30012043
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Werktext

"Zerstörter Ort" ist auch ein Architekturbild, doch von anderem Charakter als die "Stadt R". Zusammen mit "Zerstörtes Dorf" (Privatsammlung) ist es eines der wenigen Werke Klees, die auf das Erlebnis des gerade zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieges Bezug nehmen. Klee hatte den Krieg mit innerer Distanz erlebt, davon zeugen nicht nur seine oft zitierten Sätze "Ich habe diesen Krieg in mir längst gehabt. Daher geht er mich nichts mehr an", sondern auch Äußerungen, er blickte auf seine abgestreiften Trümmer wie auf längst Vergangenes zurück.

Längst erloschen scheint auch das Leben des "Zerstörten Orts", dessen geisterhafte, grauviolette Ruinen vor nachtblauem Himmel wie von rötlichen Flammen erhellt aufleuchten. Fensteröffnungen, die in anderen Bildern Klees die Dialektik von Innen und Außen erschließen und häufig auch für die verschwiegene Geborgenheit des Hauses stehen, sind in den entkernten Ruinen zu gähnenden schwarzen Höhlen geworden. Die Abwesenheit alles Lebendigen und die geisterhafte Verlassenheit des zerstörten Orts, zu dem offenbar auch ein Gotteshaus gehörte, bestimmen den Eindruck vergangenen Schreckens, den das kleine Bild hervorruft.

Hier ist Klee die Kunst "des Sichtbarmachens unoptischer Eindrücke und Vorstellungen" gelungen, die er in seinem Traktat "Wege des Naturstudiums" für die neue Kunst reklamiert. Die spezielle Art "leidenschaftsloser Glut" – man blickt auf diesen Ort wohl mit Grauen, aber ohne schreckhaftes Bedauern – im Assoziationswert vieler Bilder Klees, die den Betrachter ganz anders berühren als etwa der Expressionismus der 'Brücke'-Künstler oder das malerische Pathos eines Kandinsky, hat der Künstler selbst in einem Nachruf auf den gefallenen Freund Franz Marc zu erklären versucht. Im Vergleich mit diesem meint er von sich: "Meine Glut ist mehr von der Art der Toten oder der Ungeborenen … Ich nehme einen entlegeneren, ursprünglicheren Schöpfungspunkt ein, wo ich Formeln voraussetze für Mensch, Tier, Pflanze, Gestein und für die Elemente, für alle kreisenden Kräfte zugleich. Tausend Fragen verstummen, bevor sie gelöst wären." Das Verstummen der Fragen, d. h. der Leidenschaft vor Klees Bildern ist maßgeblich auch aus ihrem reflektierten Vokabular und ihrer seismografischen Aufzeichnung unbewusster psychischer Inhalte zu erklären.

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.

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