Prerowstrom von Marianne von Werefkin

Details

Datierung
1911
Objektart
Gemälde
Material
Tempera auf Pappe
Maße
54 cm x 74 cm x 0,2 cm
Ausgestellt
In "Der Blaue Reiter"
Inventarnummer
G 17439
Zugang
Schenkung 1989
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
Zitiervorschlag / Permalink
Marianne von Werefkin, Prerowstrom, 1911, Tempera auf Pappe, 54 cm x 74 cm x 0,2 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/prerowstrom-30006219
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Werktext

Den Sommer 1911 verbrachten Werefkin und Jawlensky an der Ostsee und hielten sich von Juli bis September in Prerow, Ahrenshoop und Zingst auf. Besonders Prerow auf dem Darß, jene der Pommerschen Boddenlandschaft vorgelagerte Halbinsel mit ihrem lang gestreckten Sandstrand im oszillierenden Licht der Ostseeküste, faszinierte beide Künstler. Jawlensky begann hier, wie er in in seinen Erinnerungen schrieb, "in starken glühenden Farben, absolut nicht naturalistisch und stofflich" zu malen, wie es etwa in seinem berühmten Bild "Reife" der Fall ist. Die starken Rottöne und das Preußischblau, das Jawlensky für die Konturierung seiner Formen nahm, finden sich in abgestufter Form auch in Werefkins Gemälde "Prerowstrom".

Blau, Rot und Rotbraun beherrschen hier die weiträumige Ansicht über den Fluss, der in einem tiefen Graben gestaut und träge durch die Niederung des Haffs dem Meer entgegenfließt. Das große Temperabild des "Prerowstroms" ist im Œuvre Werefkins ein seltenes Beispiel für den gänzlichen Verzicht auf die Anwesenheit der menschlichen Figur, als eines ihrer wenigen reinen Landschaftsbilder bleibt es jedoch keineswegs ohne die starke Ausstrahlung einer inneren Gefühlslage. Melancholie und eine geheimnisvolle Bedeutung scheinen über der Landschaft unter dem dunkel bewölkten Himmel zu liegen, im Hintergrund leuchtet der hellrote Akzent eines kleinen Kirchengebäudes, das Schilfgras im Vordergrund ist mit ungewöhnlich unruhigen Strichlagen gezeichnet. In ihren Schriften äußerte Werefkin mehrfach ihre Überzeugung, dass das Auge "sieht", was "die Seele fühlt".

"Prerowstrom" stammt aus dem Nachlass des Kunsthistorikers Franz Stadler, der mit Kandinsky in den Jahren 1912 bis 1914 in München befreundet war und mit diesem noch bis 1929 in engem Briefwechsel stand. "Franz Stadler, Kunsthistoriker, elf Jahre jünger als Kandinsky, lebte damals in Schwabing unweit von Kandinsky und Gabriele Münter, schon vor der Epoche des 'Blauen Reiter'. Stadler war damals auch mit Franz Marc, Paul Klee und dem Tänzer Alexander Sacharoff befreundet. Einige interessante Briefe und Karten dieser Freunde an Stadler sind Marksteine dieser Epoche." (Eva Rosenblum) In seinem letzten Brief vom 26. Dezember 1927 aus Dessau schrieb Kandinsky an ihn: "Aber nötige Ruhe würde man sicher in dieser zerrüttelten Zeit auch auf dem Mars nicht finden. Und vor allem es lebe die Arbeit, es lebe … die Kunst! Und hoch sollen diejenigen leben, die sich ernstlich mit Kunst befassen. Also auch wir beide!"

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2013.