Mystischer Kopf: Meditation von Alexej von Jawlensky

Details

Datierung
1918
Objektart
Gemälde
Material
Öl auf Pappe
Maße
40 cm x 31 cm x 0,3 cm
Signatur / Beschriftung
u. l.: A. Jawlensky
Ausgestellt
In "Der Blaue Reiter"
Inventarnummer
G 13340
Zugang
Schenkung 1965
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Bernhard und Elly Koehler Stiftung 1965
Zitiervorschlag / Permalink
Alexej von Jawlensky, Mystischer Kopf: Meditation, 1918, Öl auf Pappe, 40 cm x 31 cm x 0,3 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Bernhard und Elly Koehler Stiftung 1965
https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/mystischer-kopf-meditation-30019478
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Werktext

1917 zog Alexej Jawlensky von St. Prex am Genfer See nach Zürich um. Ungefähr mit diesem Datum fällt auch seine erneute Beschäftigung mit dem menschlichen Antlitz zusammen, dem er sich bis zu seinem Tod mit einer in der Geschichte der modernen Malerei beispiellosen Ausschließlichkeit widmen sollte. Aus Mädchen- und Frauenköpfen, insbesondere dem Porträt Emmy Scheyers – einer befreundeten Malerin, die 1915 Werke Jawlenskys auf einer Ausstellung in Lausanne gesehen hatte und sich fortan ganz dem Schaffen des bewunderten Künstlers widmete – entwickelte Jawlensky in einer ersten Werkgruppe bis 1921 seine 'Mystischen Köpfe' und 'Heiligengesichte'.

Im schmalen, länglichen Oval von "Meditation" und in den stilisierten Schläfenlocken rechts und links findet sich noch ein Abglanz der individuellen Züge Emmy Scheyers. Das feine, farbig nachgezogene Liniengerüst des Kopfes steht durchlässig und schwebend vor dem Ockergrund der Malfläche; alle weiteren Einzelheiten von Haar und Halsansatz sind ausgeschaltet. Ein überindividueller Ausdruck allgemeiner menschlicher Daseins-und Leidenserfahrung liegt über den gesenkten Lidern und den wenigen, verschobenen Strichlagen des Mundes. In der geometrischen Grundfigur von "Mystischer Kopf: Meditation" und besonders im Brennpunkt des Gesichts, den geschlossenen Augen und den farbigen Flecken des 'Weisheitszeichens' über der Nasenwurzel, sind die Hauptelemente aller nun folgenden 'Heiligengesichte', 'Abstrakten Köpfe' und der späten 'Meditationen' vorgebildet.

Diese Köpfe, die nun zu Hunderten entstehen, bedeuteten für Jawlensky in ihrer seriellen Reihung weit mehr als formale Studien des abstrahierten menschlichen Gesichts. Das Antlitz des Menschen wurde für ihn ein Medium für die Erfahrung von Transzendenz, die immer wieder variierte Abwandlung der einmal gefundenen Grundform in seiner Malerei 'ein Weg zu Gott'. Diese radikale Konzentration der Kunst auf das Moment religiöser Selbstentäußerung, die allein die thematische Beschränkung auf ein Motiv über zwanzig Schaffensjahre hinweg verständlich macht, drückt Jawlensky 1938 in einem Brief an Pater Willibrord Verkade mit folgenden Worten aus: "Einige Jahre malte ich diese Variationen und dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, dass die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, dass der Künstler in seiner Kunst durch Farben und Formen sagen muss, was in ihm Göttliches ist. Darum ist das Kunstwerk ein sichtbarer Gott, und die Kunst ist 'Sehnsucht zu Gott'."

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.