Große Studie zu einem Wandbild für Edwin R. Campbell (Sommer) von Wassily Kandinsky

Große Studie zu einem Wandbild für Edwin R. Campbell (Sommer) von Wassily Kandinsky

Details

Datierung
1914
Objektart
Gemälde
Material
Öl auf Leinwand
Maße
100 cm x 59,7 cm x 2,2 cm
Ausgestellt
In "Der Blaue Reiter"
Inventarnummer
GMS 75
Zugang
Schenkung 1957
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
Zitiervorschlag / Permalink
Wassily Kandinsky, Große Studie zu einem Wandbild für Edwin R. Campbell (Sommer), 1914, Öl auf Leinwand, 100 cm x 59,7 cm x 2,2 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
https://www.lenbachhaus.de/entdecken/sammlung-online/detail/grosse-studie-zu-einem-wandbild-fuer-edwin-r-campbell-sommer-30012329
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Werktext

1914 erhielt Wassily Kandinsky durch Vermittlung des Kunsthändlers Arthur J. Eddy von Edwin R. Campell, dem Gründer der Chevrolet Motor Company, den Auftrag, die Eingangshalle seines Apartmenthauses in New York mit Wandgemälden auszustatten. Kandinsky wurde von Campell brieflich über die räumlichen Gegebenheiten der beinahe runden, durch drei Türen geöffneten Halle informiert und schuf dafür zwei schmale und zwei breitere, hochrechteckige Tafeln. Der Erste Weltkrieg verhinderte die pünktliche Lieferung der im Frühjahr 1914 in Murnau fertig gestellten Bilder; erst 1916 konnten sie Europa über Stockholm verlassen und im New Yorker Haus an der Park Avenue installiert werden. Alle vier Bilder hängen heute im Museum of Modern Art, New York.

Seit ihrer Publizierung durch Kenneth C. Lindsay wurden die vier Tafeln mit den Untertiteln "Frühling", "Sommer", "Herbst" und "Winter" versehen und damit als eine Art Zyklus der Jahreszeiten aufgefasst. Diese Namensgebung stammt jedoch nicht von Kandinsky und dient lediglich der Unterscheidung der verwirrend abstrakten Werke, die sich jeder traditionellen Kategorie entziehen. Hingegen mögen sich innerhalb der Serie gewisse Zuordnungen treffen lassen. Auf den beiden breiteren Formaten von "Herbst" und "Winter" spielt sich ein bunt schillerndes Drama in dynamischem Farbauftrag ab, während die schmalen Bilder des "Frühlings" und "Sommers" eher von der Feinstruktur der Linien geprägt sind, größere, zurücktretende Farbflächen und deutlicher herauskristallisierte Elemente aufweisen.

Das vorliegende Bild ist eine Studie für "Sommer". Weiße längliche Stangengebilde strecken sich wie Tentakel in die Höhe, die farbige Binnensprenkelung – das "innere Kochen in unklarer Form" – erfüllt die vordere von ihnen zusätzlich mit subtilem Leben. Gelb, Rot und Blau sind weitere Farben im Bild, im oberen Drittel dehnt sich ein schwarzer Fleck mit weißer 'Öffnung'. Dieser wiederum rückt das Bild in die Nähe der Bedeutungsstrukturen von Kandinskys "Bild mit schwarzem Bogen" von 1912 (Centre Georges Pompidou, Paris), in dem Rot und Blau in antithetischem Gegeneinander eingesetzt sind und schwarze Linienspuren das Bild beherrschen. In der Studie des "Sommers" aus der Campell-Serie kreuzen sich überall graphische Zeichen, die allesamt der Abglanz von etwas anderem zu sein scheinen. Doch mögen auch das schwarze Viereck mit den langen Strähnen in der Bildmitte eine Erinnerung an den Posaunenengel sein, die steil nach oben fahrenden, gebogenen Linien links oben an das 'Troika'-Motiv des Elias oder der merkwürdige blaue Winkel rechts unten mit dem 'Auge' an das Gesicht des Johannes auf Patmos – wichtig an solchen Hinweisen scheint lediglich, dass die als Überreste zurückbleibenden Linien zu selbstständigen Ausdrucksträgern geworden sind.

In seinem späteren Lehrbuch aus der Bauhaus-Zeit betont er die Zusammengehörigkeit von Graphik (der Linie) und Malerei (der Farbe), die im abstrakten Kunstwerk eine freie, unlösbare Einheit bildeten. Die Linie als Bildelement analysiert Kandinsky selbst am Bauhaus an keiner Stelle unter Zweck-und Funktionsbegriffen, im Gegenteil, "neue Kunst" meint er, "kann nur entstehen, wo Zeichen zu Symbolen werden".

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.