Egon Schiele "Das unrettbare Ich"*

Werke aus der Albertina

Ausstellungsansicht Egon Schiele das unrettbare Ich 2011 Kunstbau Innenansicht

Egon Schiele zählt zu den wichtigsten Vertretern des "Österreichischen Expressionismus". In frühen Jahren zeigte er sich stark von Gustav Klimt beeinflusst, bevor er ab 1910 seinen charakteristischen expressiven Stil entwickelte. Dabei experimentierte Schiele mit radikalen Bildkompositionen und Ausdrucksmitteln, die dem Betrachter eine besonders wichtige Rolle zuweisen. Seine künstlerischen Strategien geraten jedoch häufig aus dem Blick – zu spektakulär erscheint Schieles Biografie: die turbulente Beziehung zu seinem Modell Wally, der Aufenthalt im Gefängnis sowie sein früher Tod.

Diese Ausstellung bietet eine Revision des noch immer weit verbreiteten Künstlermythos Schiele und eröffnet einen neuen Zugang zu seinem Werk: Sie verlagert den Schwerpunkt von der Biografie auf die Kunst in ihrem zeitgenössischen Kontext und versetzt sie in den kulturellen Diskurs der Zeit. Die Auseinandersetzung mit der Krise des Individuums um 1900, die der Literaturkritiker Hermann Bahr unter dem Motto "Das unrettbare Ich" zusammenfasste, nimmt darin eine herausragende Stellung ein. Denn "unrettbar" scheint das krisengeplagte Wien der Jahrhundertwende überhaupt zu sein: Kollektive und individuelle Identitäten, Sinn und Bedeutung der Sprache, die Wahrnehmung der Natur sowie das gesamte tradierte Weltbild werden um 1900 in Frage gestellt – nirgends so radikal wie in Österreich-Ungarn. Doch hatten gerade diese Krisen ein enormes ästhetisches Potential, wie die Werke der großen Künstler und Literaten der Wiener Moderne – nicht nur Schieles – bezeugen.

In dieser Ausstellung zeigen wir die Bilder deshalb nicht chronologisch oder nach den dargestellten Motiven geordnet, sondern thematisch gruppiert. Dank einer umfassenden Auswahl von Aquarellen und Zeichnungen aus dem Bestand der Wiener Albertina – der weltweit bedeutendsten Sammlung von Schieles Werken auf Papier – kann das Themenspektrum von Schieles Kunst facettenreich dargestellt werden. Daraus ergeben sich folgende Aspekte: das moderne Subjekt, die Natur als Utopie, Raumexperimente, sexuelle Drastik und Netzwerke mit anderen Künstlern. Durch die Gegenüberstellung von Bildern und Auszügen aus Schieles poetischen Schriften wird seine Beschäftigung mit den jeweiligen Themen in unterschiedlichen Medien aufgezeigt. So müssen etwa Schieles Selbstporträts als Versuche gewertet werden, das eigene Ich als variable Größe zu begreifen; ein Aspekt, der den Künstler auch in manchen Gedichten beschäftigt hat und der mit damaligen Vorstellungen von wandelbarer Identität übereinstimmt. Keine selbstgenügsame Wendung zur eigenen Psyche, sondern eine Sensibilität gegenüber verschiedenen äußeren Anregungen wird damit in Schieles Werk deutlich.

Die Schiele-Ausstellung im Lenbachhaus ist zudem historisch begründet. Im Frühjahr 1912 veranstaltete der Münchner Galerist Hans Goltz gleichzeitig zwei Ausstellungen: Eine war dem "Blauen Reiter" gewidmet (2. Ausstellung "Schwarz-Weiß"), die andere Schiele – seine erste Einzelpräsentation im Ausland überhaupt. Fast hundert Jahre später ist der Österreicher  wieder zu Gast in München, nun im Lenbachhaus und damit wieder ganz in der Nähe des "Blauen Reiter".

* Titel eines Aufsatzes von Hermann Bahr (1904). Damit zitiert Bahr aus Ernst Machs Analyse der Empfindungen (1885).

Katalog zur Ausstellung:  32 € im Museumsshop, 39,80 € im Buchhandel
Kuratoren: Helmut Friedel / Helena Pereña