Kombinationen und Schichten

von Angelika Lepper aka DJ Acid Maria.

Zur Eröffnung von Michaela Meliáns Ausstellung "Electric Ladyland" habe ich für ein DJ Set Stücke von weiblichen Ikonen der elektronischen Musik ausgesucht und im Atrium des Lenbachhauses gespielt. Für die Musikauswahl waren Arbeiten von Interesse, in denen Labor und Kunst, Technologie und Lyrik miteinander gedacht werden bzw. wurden. Sieht man sich die Biographien und Werkzusammenhänge der Autorinnen an, so zeigen sich Parallelen materieller Be- und Umdeutung, die über Macht und (Selbst-)Ermächtigung innerhalb historischer kultureller und technologischer Settings sprechen.

Michaela Melián setzt sich in ihren Arbeiten wiederholt mit Hedy Lamarr auseinander, die hauptsächlich in der Filmindustrie Hollywoods der 1940er Jahre und dort für ihre atemberaubende Schönheit bekannt war. Noch immer iweiß kaum jemand, dass Lamarr für eine bahnbrechende technologische Innovation verantwortlich ist, das sogenannte "Frequenzsprungverfahren", für das sie das Patent inne hatte und das zur Torpedoabwehr im Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde. Die Technologie ist von einem musikalischen Verfahren des synchronisierten Abspielens zweier Lochkarten abgeleitet. Das Prinzip findet u.a. in der heutigen Mobilfunktechnik Einsatz.

Die Musikerinnen, deren Stücke ich ausgesucht habe, sind zum Teil über persönliche oder historisch bedingte Umwege zu Kunst und Musik gelangt. Allen gemeinsam scheint die Suche nach Wegen jenseits von Genre und seinen Begrenzungen zu sein. Sie sind damit Protagonistinnen produktiver Übertretung.

Hier können Sie den Electric Ladyland Minimix von DJ Acid Maria anhören.

Kommentierte Tracklist:

1. Pauline Oliveros: Horse sings from Cloud

Pauline Oliveros (*20.5.1932 in Houston, USA) ist Komponistin und Akkordeonistin und eine zentrale Figur der experimentellen elektronischen Musik aus den USA. Sie ist Mitbegründerin des San Francisco Tape Music Center, einer der wichtigsten Institutionen für elektronische Musik der 1960er Jahre, dessen Direktorin sie war. Für ihre Auftritte, bei denen sie häufig improvisiert, nutzt sie u.a. ihr Expanded Instrument System, eine von ihr entwickelte Technik der elektronischen Signalverarbeitung. Ihre Ästhetik des Deep Listening basiert auf den Prinzipien musikalischer Improvisation, elektronischer Klangerzeugung, Ritual und Meditation. Horse sings from Cloud von 1982 entstand aus einem Traum Oliveros. Vokale Drone-Sounds und elektronisch verändertes Akkordeon werden hier eingesetzt, die Arbeit scheint auf ein altes Ritual zu verweisen.

2. Daphne Oram: Anchor Butter (The Daphne Oram Tapes Volume 1)

Daphne Oram (1925-2003) war Musikerin, Ingenieurin und Autorin. Sie war die erste Leiterin des BBC Radiophonic Workshop. In ihrem 1972 entstandenen Buch An Individual Note: Music, Sound, and Electronics schreibt sie: "In my work I am not concerned with synthesizing orchestral sounds– we have excellent orchestras for making those sounds. My interest is in making new sounds which are musical." Oram entwickelte den nach ihr benannten Synthesizer Oramics ab 1957. Seine Klangerzeugung beruht auf der Abtastung von zehn parallel fortbewegten, von Hand bemalten 35mm Klarfilmstreifen, mit denen man Amplitude, Klangfarbe, Frequenz und Dauer eines Klangs bestimmen konnte. Der restaurierte Synthesizer, dessen Entwicklung als Meilenstein in der Geschichte elektronischer Klangsynthese gilt, steht heute, verstummt, im Londoner British Science Museum in einem Glaskasten. Nach ihrem Tod 2003 hinterließ sie 400 Tapes mit ihren Kompositionen, zumeist ohne Kommentare zu deren Herstellungsweise. Sie wurden in der Anthologie The Daphne Oram Tapes 2007 veröffentlicht.

3. Else Marie Pade: Glasperlespil 1

Else Marie Pade (1924-2016) war die erste elektronische Musikerin Dänemarks. Pade war in ihrer Kindheit lange krankheitsbedingt ans Bett gefesselt. Während sie die Welt außerhalb ihres Zimmers nur hören konnte, entwickelte sie Klangbilder, die den Ursprung ihrer späteren Kompositionen bilden sollten. Während des Zweiten Weltkriegs war sie in der dänischen Resistance aktiv, im September 1944 wurde sie von der Gestapo festgenommen und bis Kriegsende im Lager Frøslevlejren interniert. Dort begann sie zu komponieren. Ihre Arbeiten lagerten bis 2002 ausschließlich auf Bändern in den Archiven des dänischen Rundfunks. Glasperlespil 1 (1960) ist in der 2002 erschienenen Anthologie enthalten.

4. Kyoka: Toy Planet (Is Superpowered 07)

Kyoka, in Japan geboren, lebt heute in Berlin und Tokyo. Ihre Kompositionen werden für ihre fast chaotischen, rohen Sounds und ihre direkte musikalische Herangehensweise (u.a. von Ryuichi Sakamoto) geschätzt. Als Kind von der regelhaften Begrenzung ihres Klavierunterrichts genervt, nahm sie den defekten Kassettenrekorder ihrer Eltern auseinander und es gelang ihr, damit vollkommen neue Klänge zu erzeugen. Is Superpowered von 2014 ist ihr erstes Album.

5. Daphne Oram: Just for you (The Daphne Oram Tapes Volume 1)

6. Dasha Rush: Dance with Edgar Poe (Sleepstep 002)

Dasha Rush ist in Russland geboren, und weltweit als Soundkünstlerin und DJ beschäftigt. Ihre Arbeit, ein fortgesetztes Experiment mit Form und Genrevorstellungen, bezieht ihre Referenzen aus zeitgenössischer Clubmusik ebenso wie aus der klassischen Avantgarde. Sleepstep scheint dem Bedürfnis zu entspringen, sich weder für das eine noch für das andere entscheiden zu wollen oder zu können, für Rush eine Bedingung ihrer eigenen Unabhängigkeit als global agierende Künstlerin.

7. Keith Fullerton Whitman: Issue Generator (for Eliane Radigue)

Keith Fullerton Whitman ist Soundkünstler und lebt in Cambridge, USA. Am Berklee College of Music beschäftigte er sich mit Klangsynthese. Seine Hommage an Eliane Radigue, 1932 in Frankreich geboren und zunächst eine zentrale Protagonistin der Musique Concrète, bezieht sich auf deren jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem ARP 2500, einem legendären modularen Synthesizer, und der Klangerzeugung mit Hilfe von Tonbändern. Radigue und Whitman arbeiteten 2000 zusammen am Issue Project Room in Brooklyn, NY, aus dieser Kollaboration entstammt auch Issue Generator.

8. MimiCof: Microscopic Reconstruction

MimiCof a.k.a. Midori Hirano, 1979 in Kyoto geboren, lebt in Berlin. Mit fünf Jahren begann sie Klavier zu spielen, später studierte sie am Konservatorium. Ihre Verbindung von klassischer Instrumentierung, subtilem elektronischen Processing und Fieldrecordings entspringt ihrer musikalischen Ausbildung. Neben ihrem musikalischen Output betreibt sie ihr eigenes Tapelabel, das limitierte Editionen erstellt. midorihirano.bandcamp.com/album/re-construction, auf dem auch Microscopic Reconstruction enthalten ist.

9. Michaela Melián: Andante Calmo

Michaela Melián ist Musikerin, Bildende Künstlerin und Professorin. Ihr Stück <em>Andante Calmo nimmt die Arie der Mimì aus Giacomo Puccinis Oper La Bohème auf und bearbeitet sie für drei Stimmen. Über ihre eigene musikalische Arbeit sagt Melián: "Das Material legt seine eigenen sinnlichen Fährten aus, und indem es auf ganz unterschiedliche Zusammenhänge verweist, erzeugt es eine Bewegung zwischen Einerseits und Andererseits, Vorne und Hinten, Vorher und Nachher, Ohr und Auge. In der Bewegung, also im Moment des Dazwischen, wird eine eigene Kategorie produktiv." Das Stück ist auf Longplayer und CD der Publikation zur Ausstellung Electric Ladyland im Kunstbau des Lenbachhauses enthalten.

Einige der Urheberinnen der im Mix aufgenommenen Stücke und ihre Arbeiten sind Teil des Filmprogramms Sonic Iconic, das ich für das Marry Klein Festival, u.a. auch für diesen Freitag, 15. April 2016 ab 21 Uhr im Harry Klein Club zusammengestellt habe. Einen ganzen Monat lang wird der Club ausschließlich von Künstlerinnen bespielt. Der Eintritt zum Filmprogramm ist frei.

Angelika Lepper ist Medienkünstlerin und DJ. Unter dem Namen DJ Acid Maria wird sie im Bereich experimenteller elektronischer Musik seit Anfang der 1990er Jahre in Clubs, auf Festivals und für Kulturprojekte international gebucht. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin hat sie an der Filmuniversität Potsdam im Bereich Montage und dem IKF – Institut für künstlerische Forschung gearbeitet.

Veröffentlicht am 14. April 2016.