Gabriele Münter
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Anlässlich des 140. Geburtstags der Künstlerin sowie des 60-jährigen Jubiläums ihrer großzügigen Schenkung an das Museum zeigt das Lenbachhaus die umfassendste Ausstellung zum Werk Gabriele Münters (1877-1962) seit 1992. Der Facettenreichtum ihres Oeuvres sowie ihr genreübergreifendes Talent zeigen sich in rund 200 Exponaten, die Einblick in Münters Experimentierfreude und ihren stetigen Drang nach persönlicher und künstlerischer Erneuerung geben. Isabelle Jansen, Kuratorin der Ausstellung und Geschäftsführerin der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, beantwortet im Interview Fragen rund um die Ausstellung und zeigt, welchen neuen Blick diese auf die Künstlerin und ihr Schaffen ermöglicht.

Wenn die Besucherinnen und Besucher die Ausstellung betreten, sehen sie anfangs die Fotografien Gabriele Münters. Als Fotografin ist sie weniger bekannt. Warum stehen die Fotografien am Beginn der Ausstellung?

Isabelle Jansen: Gabriele Münter begann zu fotografieren, noch bevor sie sich der Malerei widmete. Aus diesem Grund zeigen wir ihre Fotografien gleich am Anfang. Im Alter von 21 Jahren unternahm sie mit ihrer Schwester eine Reise in die USA, um ihre Verwandten mütterlicherseits zu besuchen. Sie hatte bis dahin Zeichenkurse besucht, aber sonst noch nicht künstlerisch gearbeitet. Während der Reise bekam sie einen Fotoapparat geschenkt und fing an zu fotografieren. Von Anfang an konnte sie mit diesem neuen Medium hervorragend umgehen, nicht nur in technischer Hinsicht. Es gelang ihr, Fotografien zu komponieren und man erkennt, dass es sich nicht um Amateurfotos handelt. Dieser ästhetische Blick ist ohne Ausbildung vorhanden. Diese Begabung führte dazu, dass Münter als spontan arbeitende Künstlerin angesehen wurde. Das stimmte aber keineswegs und das wird in der Ausstellung sichtbar.

Was verbindet Münters Fotografien mit ihrem malerischen Werk?

Isabelle Jansen: In der Ausstellung ist zum ersten Mal eine so große Auswahl ihrer Fotografien dem malerischen Werk gegenübergestellt. So haben die Besucherinnen und Besucher die Möglichkeit Bezüge zwischen beidem herzustellen. Von ihren Fotografien zu ihren Gemälden lässt sich eine Kontinuität in den Motiven feststellen. Ähnlich wie in der Malerei ist die Landschaft auch in ihren Fotografien das häufigste Thema. Neben der Landschaft sind auch Motive aus ihrem alltäglichen Leben häufig in beiden Medien vertreten, z.B. die Wohnung in der Münchner Ainmillerstraße und ihr Haus in Murnau. Auch Porträts sind ebenso häufig ein fotografisches wie malerisches Thema. Stillleben hingegen finden sich in Münters Fotografie interessanterweise nicht, obwohl sie in ihren Gemälden oft vorkommen. Für uns ein weiteres Indiz dafür, dass sie für sich selbst die Fotografie nicht als gleichwertiges künstlerisches Ausdrucksmittel, wie beispielsweise die Malerei, betrachtete und nur selten als direkte Bildvorlage verwendete. Sie setzte aber immer wieder das gleiche Motiv in verschiedenen Techniken um – als Fotografie, Zeichnung, Malerei oder als Druckgrafik.

Wie kommt es, dass ihr fotografisches Werk trotz der hohen künstlerischen Qualität kaum bekannt ist?

Isabelle Jansen: Das lässt sich damit erklären, dass ihre Fotografien kaum ausgestellt worden sind. Gabriele Münter hat sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Aus heutiger kunsthistorischer Perspektive sehen wir das natürlich anders. Vor allem ihre Fotografien aus Nordamerika sind für mich wirklich unglaublich schön und sehr spannend, weil Münter sie aufnahm, bevor sie überhaupt zu Malen begann. Die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung verfügt über einen Bestand von ca. 2.000 Fotografien, ein Großteil davon wurde von Gabriele Münter selbst aufgenommen. 1998-2000 wurden die Fotografien erstmals kunsthistorisch bearbeitet und einige Jahre später vom Lenbachhaus und der Stiftung in zwei Ausstellungen präsentiert ("Gabriele Münter – Die Reise nach Amerika, Photographien 1899 – 1900", 30.9.2006–14.1.2007; "Gabriele Münter. Die Jahre mit Kandinsky, Photographien 1902–1914", 10.2.–3.6.2007).

Welche weiteren, weniger bekannten Seiten von Gabriele Münters künstlerischem Schaffen werden in der Ausstellung gezeigt?

Isabelle Jansen: Wir präsentieren über 60 bislang noch nie oder zuletzt zu Lebzeiten Münters gezeigte Gemälde. Die Ausstellung widmet sich somit mehr als nur den sehr bekannten Arbeiten aus der Zeit des "Blauen Reiter". Sie zeigt einen Überblick über das gesamte Oeuvre dieser großartigen Künstlerin. Aus den Beständen der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung werden etwa 80 Gemälde gezeigt, dazu 15 Werke aus dem Lenbachhaus, ergänzt durch selten gezeigte Leihgaben aus weltweiten Museen und Privatsammlungen. Eine solche umfassende Ausstellung kann nicht oft realisiert werden – die letzte große Münter-Ausstellung hat vor 25 Jahren stattgefunden, übrigens auch im Lenbachhaus.
Münter wurde darüber hinaus lange über ihre Biografie und vor allem über ihre Zeit mit Kandinsky wahrgenommen. Jetzt wollen wir ihren Schöpfungsprozess in den Vordergrund stellen. Aus diesem Grund ist die Ausstellung nicht in chronologischer Abfolge aufgebaut, sondern in thematische Sektionen gegliedert. Das erste Kapitel zeigt ca. 30 Fotos ihrer Nordamerikareise. Dann sind die klassischen kunsthistorischen Gattungen "Porträt" und "Landschaften" vertreten. Im Kapitel "Wiederholungen und Variationen" finden sich Werke, in denen Münter gleiche Motive mehrfach darstellte.
Sie bediente sich zeitgleich verschiedener künstlerischer Stile, auch das ist bisher weniger bekannt. Die Künstlerin war sehr interessiert, immer wieder mit etwas Neuem zu experimentieren, wie der Umgang mit der Fotografie zeigt. Sie interessierte sich ebenfalls für das neue Medium des Films. In der Ausstellung zeigen wir deshalb Filme, die Münter gesehen hat. Sie ging von 1900 bis zu ihrem Tod oft ins Kino. Die Titel der Film hat sie in ihrem Tagebuch festgehalten. Direkte formale oder thematische Verbindungen zwischen den Filmen und Münters Werk lassen sich zwar nicht herstellen. Für mich ist es aber konsequent, dass sie gern und sehr gut fotografiert und sich für das Medium Film interessiert. Das passt zusammen.

Worauf können sich die Besucherinnen und Besucher darüber hinaus freuen?

Isabelle Jansen: Wir bieten interaktive Elemente für die jungen Besucherinnen und Besucher an, die gut in unser Konzept passen. Wie möchten eine große Ausstellung zu einer Künstlerin der Klassischen Moderne machen, die anders ist. Wer die Ausstellung mit Kindern ab 2 Jahren besucht, findet auch außerhalb unserer Familienworkshops unterschiedliche Materialien, die dazu anregen erste Erfahrungen mit der Kunst von Gabriele Münter zu machen. Mit Bilderwürfeln lassen sich zum Beispiel ihre Werke nachbauen und mit Abbildungen ihrer Fotografien können eigene Geschichten in einem Fotoroman erzählt werden. Auch unsere Aktionskarten, die sich an lesende Kinder und Jugendliche richten, fördern die genaue Betrachtung der Bilder und stellen Fragen, die uns auch in unserem eigenen Alltag begegnen und beschäftigen.

Das Interview führte Monika Fischer.

Veröffentlicht am 8. Dezember 2017