Einen Salon kann man gründen,
aber nicht planen

Stephan Dillemuth im Gespräch mit Martina Oberprantacher.

Der Salon bildet Geschmack und Distinktion
Die Geschichte des Salons beginnt mit dem Übergang von der höfischen zur bürgerlichen Gesellschaft. Die kulturelle Definitionsmacht des Hofes wird durch die Salons in Frage gestellt. Vor allem wohlhabende und gebildete Frauen, oft adeliger Herkunft, gründen diese kulturellen Zirkel in ihren Privathäusern. Als Gastgeberinnen nehmen sie eine wichtige Position im sonst rein männlich dominierten Kulturleben ein.
Anhand der Präsentationen und Diskussionen in den Salons, bilden sich Geschmack, soziale Beziehungen und theoretische und ästhetische Diskurse aus.

Die feministische Zuschreibung funktioniert nur für die Betreiberinnen
In der damaligen Gesellschaft fanden Frauen als produzierende Künstlerinnen kaum einen Platz. Nur über die Salons war eine Form von „Emanzipation“ möglich.
Die – feministische – Zuschreibung funktioniert offensichtlich für Betreiberinnen. Aber was galt für Besucherinnen der Salons? Gab es überhaupt Besucherinnen?

Einen Salon kann man – einfach so – gründen
Die Grundbedingung für die Salongründung ist ein Raum. Dieser funktioniert als Startkapital für die weitere Ausbildung des kulturellen und sozialen Kapitals. Für eine Salongründung ist oftmals ein Motiv der Abgrenzung gegen einen bestehenden kulturellen Diskurs ausschlaggebend. Die Salons funktionieren wie Kondensationskerne, um die herum sich ein produktives Dagegen ausbilden kann.

Ein „Salon“ konstituiert sich
Gleichgesinnte finden zueinander, weil sie ähnliche Probleme miteinander teilen. ‚Wahlverwandschaften‘ benennt eine Anziehungskraft, die aus Ähnlichkeit und Differenz resultiert. Um überhaupt miteinander kommunizieren zu können, muss man genügend ähnlich sein. Um sich produktiv austauschen zu können, muss man aber auch genügend unterschiedlich sein. Das wäre ja sonst ein Selbstgespräch im Spiegel. Durch die Unterschiedlichkeit lernt man nicht nur den Anderen kennen, man lernt auch durch den Anderen auf sich selbst zu blicken. In der Wechselwirkung dieser Austauschprozesse entsteht in den Salons ein zunehmend differenzierter Diskurs, ein sich gegenseitiges Schärfen. Das hat durchaus etwas Forschungsförmiges.

Salon ist ein offenes Format mit einer unausgesprochenen Mitgliedschaft
Es bilden sich aber auch Ausschlüsse und Abgrenzungen. Die Gruppe kann nur dann produktiv kommunizieren, wenn sie die Unterschiede produktiv machen kann und wenn ein wechselwirksamer Transfer gewährleistet ist. Genau das sind Lernprozesse. Unterschiede, die das behindern, werden ausgegrenzt. Die zunehmende Verfeinerung und Vertiefung im ästhetischen, politischen, kritischen und theoretischen Denken (und Handeln) erzeugt neue Erkenntnisse. Und ein gewisses Glück des gegenseitigen Verstehens, des sich in den Anderen Wiederfindens. Wie ein Liebesverhältnis kann das aber auch zu einer immer enger werdenden Blase werden. Von Außen erscheint die Gruppe dann leicht als elitärer Zusammenschluss, obwohl das von Innen (vielleicht) gar nicht so intendiert ist, ‚man versteht sich halt so gut‘. Um gegen diese Gefahr der zunehmenden Abkapselung anzugehen, müssen Differenzierungsprozesse durch De-Differenzierungen begleitet werden, also durch Übersetzungs- und Vermittlungsstrategien, die helfen, die sich differenzierenden Erkenntnisse der Gruppe nach Außen zu übersetzen und die Gruppe weiterhin anschlussfähig zu halten. Dies sind Prozesse der Öffentlichkeitsbildung, ähnlich wie bei der Bildung anderer Gruppenkonstellationen.
Durch diesen Spagat zwischen Differenzierung und De-Differenzierung treten aber oft auch Spannungen und persönliche Auseinandersetzungen (und Ausschlüsse) auf, an denen die Gruppe zerfallen kann. Bei den De-Differenzierungsprozessen setzen sich manche Mitglieder durch und haben Erfolg, andere bleiben dabei auf der Strecke. Einzelne Erfolgreiche erben das kulturelle Kapital das die Gruppe gemeinsam erarbeitet hat.

Der Salon bildet Öffentlichkeit(en) aus
In den Entwicklungsphasen der bürgerlichen Öffentlichkeit sind die Kommunikationsverhältnisse, die soziale Schichtung und die Rollenverteilung in den Salons vermutlich unterschiedlich. Z.B. steht das unhierarchische Kommunikationsmodell des romantischen Freundeskreises dem der Aufklärung diametral entgegen. Generell könnte man festhalten, dass Salons einerseits die jeweiligen Differenzierungsprozesse vorangetrieben, sie aber andererseits auch gleichzeitig vermittelt haben. Dementsprechend sind sie an der Schärfung, Ausformulierung und Übersetzung künstlerischer Ansätze beteiligt wie auch an der Ausbildung einer den Kunstdiskurs umgebenden Öffentlichkeit. Diese engere involvierte Öffentlichkeit der Salons kann dann weitere Öffentlichkeiten außerhalb herausbilden, z.B. in der Rolle als Publizisten, Kunstkritiker, Kuratoren oder Pädagogen. D.h., sie sind als Multiplikatoren und/oder Vermittler tätig und können die in den Salons verhandelten Inhalte zu weiterer Wirksamkeit in der Welt bestärken. Das entwickelt sich aber nicht so einfach und so linear wie eben beschrieben. Wir müssen uns das als Kampf verschiedener Felder denken, die miteinander um Diskurshoheit streiten. Durch diese sukzessive Öffentlichkeitsbildung entstehen nicht nur Reibung, sondern eventuell auch Reibungsverluste, in dem Sinne, dass Inhalte vereinfacht werden, welche einst durch die sehr differenzierten und diffizilen Kommunikationsprozesse geschaffen wurden. De-Differenzierung heißt also auch Vereinfachung.

Beispiel künstlerischer Öffentlichkeit in den 1990ern
Als Beispiel können die Gruppierungen der frühen 1990er Jahre dienen. An den Rändern des Kunstsystems bildeten sich damals Wahlverwandschaften heraus, die sich von den leeren, repräsentativen Gesten der 1980er Jahren unterscheiden wollten. Deswegen wurden Strukturen und Randerscheinungen des künstlerischen Feldes interessant und deren Möglichkeiten wurden spielerisch und experimentierend erforscht. Es ging dabei auch um eine Infragestellung von singulärer Autor(en)schaft, stattdessen bildeten sich Diskussionszusammenhänge, wie Gruppen, kollektiv betriebene Räume, Fanzines und andere ‚Labels‘ heraus, die miteinander vernetzt eine aufregende Parallelwelt zum sonst drögen Markt- und Objekt-fixierten Kunstbetrieb bildeten.

Obwohl diese selbstorganisierten Gruppierungen das Salonformat in vielen Fällen sprengten, war ihnen doch gemeinsam, dass ihre Produktion und Distribution aus sozialen Zusammenhängen resultierten.

Da tauchen auch Fragen auf, was eine Ausstellung sein und leisten kann, inwieweit ein Ort ein ‚Soziales‘ lediglich abbildet oder illustriert, oder ob er es konstituiert. Inwieweit gewisse Inhalte ein Soziales herausbilden und wie eine Interaktion damit einen Diskurs produzieren kann.

Insofern konstituieren sich Inhalt und umgebendes Soziales gegenseitig, ähnlich wie sich Differenz und Ähnlichkeit gegenseitig ausbilden. Das ist – in meinen Augen – Vermittlung der besten Art, obwohl ‚Vermittlung‘ vielleicht das falsche Wort ist, denn da ist schon im Wort impliziert dass es da etwas (zu Vermittelndes) gibt, das jemand (der Vermittler) an Andere, die im Prozess nicht aktiv eingebunden sind, vermitteln muss. Hier aber war es eher ein gemeinsames Produzieren und ein sich dadurch gegenseitig Bildendes. Also Selbst-Bildungsprozesse die durchaus auch wieder dekonstruiert werden könnten. Also vielleicht ein von der Vermittlung an sich anzustrebendes Ideal?

Martina Oberprantacher ist Kunstvermittlerin in der am Lenbachhaus.

Stephan Dillemuth ist Künstler, er unterrichtet an der Akademie der Bildenden Künste München.