Der 1886 in Mariupol (heute Ukraine) geborene Tänzer, Choreograf und Künstler Alexander Sacharoff kam 1905 für seine Tanzausbildung nach München und sorgte für Furore: Sowohl in seinen Tanzdarbietungen als auch im Alltag trat er zumeist in "weiblich" konnotierter Kleidung auf. Ein Zeitgenosse kommentiert hierzu 1914: "Sacharoff verwirrt. Er verwirrt uns Heutige." In München lernte er Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky kennen und wurde Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München. Die Gruppe strebte nach "künstlerischer Synthese", womit zum einen die Einheit von Mensch, Malerei, Musik, Tanz und Theater gemeint war. Zum anderen ging es aber auch darum, einen künstlerischen Ausdruck für das Wechselspiel zwischen äußeren Eindrücken und innerem Erleben zu finden. Für Sacharoff war diese Idee besonders ansprechend, vereinte er in seinen Aufführungen doch verschiedene künstlerische Aspekte: Kostüm- und Bühnenentwurf, Tanz, Musik und Theater. Zugleich verkörperte er den synästhetischen Ansatz einer Grenzüberschreitung auch durch sein geschlechtlich ambivalentes Auftreten: Er verschmolz gesellschaftliche Vorstellungen von Mann und Frau – im gegenwärtigen Sprachgebrauch würde man ihn wohl als nicht-binär bezeichnen. Ebendieser spielerische Umgang mit Geschlechtlichkeit faszinierte insbesondere Werefkin und Jawlensky, die Sacharoff wiederholt porträtiert haben. Ein Jahr bevor er aufgrund des Ersten Weltkriegs München wegen seiner Nationalität verlassen musste, lernte er die Tänzerin Clotilde von Derp kennen. 1919 heirateten die beiden und führten fortan eine platonische Ehe – sexuell fühlte Sacharoff sich zu Männern hingezogen.
Text aus der Ausstellung "Der Blaue Reiter. Eine neue Sprache", 2024