Werktext
Neben den christlichen Motiven von "Allerheiligen und Jüngstem Gericht", die um 1911 mit Macht in das symbolische Vokabular Kandinskys eindringen, gewinnt für ihn zur gleichen Zeit die Figur des hl. Georg – des christlichen Drachentöters und Siegers über das Böse – zentrale Bedeutung. Die St.-Georgs-Darstellungen gehören zu einer dichten Reihe von Bildern, die Kandinsky dem christlichen Ritter widmete. Neben drei Hinterglasbildern, von denen eines nahezu identisch mit dem berühmten Titelholzschnitt des Almanachs "Der Blaue Reiter" ist, entstanden u. a. drei Ölgemälde zum hl. Georg. Diese Bilder haben eine nahezu halluzinatorische Qualität. "St. Georg I" (Privatbesitz, Schweiz) zeigt die schemenhafte Figur des Heiligen, wie er zwischen numinosen weißen Bergkulissen auf den Drachen zu seinen Füßen einsticht. "St. Georg II" (Eremitage, St. Petersburg) ist eine fast abstrakte Darstellung von Pferd und Reiter hinter der expressiven Diagonalen der heiligen Lanze.
In "St. Georg III" ist der Ritter kaum mehr erkennbar und nach links gerückt. Senkrecht stößt er seine Lanze dem unter ihm liegenden Drachen ins Maul. Dessen heller flächiger Leib diffundiert wie in Auflösung begriffen in seine Umgebung, der Schwanz schlägt hoch über das ganze Bild. Die Verschleierung, die Kandinsky hier über die Darstellung legt, wird in erster Linie durch den dominierenden Einsatz der weißen Farbe erzielt. St. Georg, der Drache wie auch der Hintergrund sind überwiegend weiß, unterbrochen nur vom Gelb und Rosa des Drachenleibes und dem korrespondierenden Blau und Grün der Aura des Heiligen. Damit wird die formale Beschaffenheit des Bildes, wie in anderen wichtigen Werken Kandinskys, zu einem zweiten Bedeutungsträger, fast wichtiger als sein Motiv.
Zur Farbe Weiß bemerkt Kandinsky in seiner Schrift "Über das Geistige in der Kunst", sie käme in der Natur nicht vor und wenn man sie benutze, dann wegen der "Übersetzung der Natur" für die "innere Impression". Das Charisma von Kampf, Untergang und Erlösung, das den Charakter von "St. Georg III" prägt, scheint eine geheime Beziehung zur entrückten Zone des Weiß zu besitzen. "Bei der näheren Bezeichnung ist das Weiß, welches oft für eine Nichtfarbe gehalten wird", schreibt Kandinsky, "wie ein Symbol einer Welt, wo alle Farben, als materielle Eigenschaften und Substanzen, verschwunden sind. Diese Welt ist so hoch über uns, dass wir keinen Klang von dort hören können. Es kommt ein großes Schweigen von dort, welches, materiell dargestellt, wie eine unübersteigliche, unzerstörbare, ins Unendliche gehende kalte Mauer uns vorkommt. Deswegen wirkt auch das Weiß auf unsere Psyche als ein großes Schweigen, welches für uns absolut ist … Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches plötzlich verstanden werden kann." – Ein Abglanz des Georgsritters wiederum steht im Mittelpunkt eines der wichtigsten abstrakten Gemälde Kandinskys vor dem Ersten Weltkrieg, dem "Bild mit weißem Rand" von 1912 (Solomon R. Guggenheim Museum, New York).
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.
In "St. Georg III" ist der Ritter kaum mehr erkennbar und nach links gerückt. Senkrecht stößt er seine Lanze dem unter ihm liegenden Drachen ins Maul. Dessen heller flächiger Leib diffundiert wie in Auflösung begriffen in seine Umgebung, der Schwanz schlägt hoch über das ganze Bild. Die Verschleierung, die Kandinsky hier über die Darstellung legt, wird in erster Linie durch den dominierenden Einsatz der weißen Farbe erzielt. St. Georg, der Drache wie auch der Hintergrund sind überwiegend weiß, unterbrochen nur vom Gelb und Rosa des Drachenleibes und dem korrespondierenden Blau und Grün der Aura des Heiligen. Damit wird die formale Beschaffenheit des Bildes, wie in anderen wichtigen Werken Kandinskys, zu einem zweiten Bedeutungsträger, fast wichtiger als sein Motiv.
Zur Farbe Weiß bemerkt Kandinsky in seiner Schrift "Über das Geistige in der Kunst", sie käme in der Natur nicht vor und wenn man sie benutze, dann wegen der "Übersetzung der Natur" für die "innere Impression". Das Charisma von Kampf, Untergang und Erlösung, das den Charakter von "St. Georg III" prägt, scheint eine geheime Beziehung zur entrückten Zone des Weiß zu besitzen. "Bei der näheren Bezeichnung ist das Weiß, welches oft für eine Nichtfarbe gehalten wird", schreibt Kandinsky, "wie ein Symbol einer Welt, wo alle Farben, als materielle Eigenschaften und Substanzen, verschwunden sind. Diese Welt ist so hoch über uns, dass wir keinen Klang von dort hören können. Es kommt ein großes Schweigen von dort, welches, materiell dargestellt, wie eine unübersteigliche, unzerstörbare, ins Unendliche gehende kalte Mauer uns vorkommt. Deswegen wirkt auch das Weiß auf unsere Psyche als ein großes Schweigen, welches für uns absolut ist … Es ist ein Schweigen, welches nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches plötzlich verstanden werden kann." – Ein Abglanz des Georgsritters wiederum steht im Mittelpunkt eines der wichtigsten abstrakten Gemälde Kandinskys vor dem Ersten Weltkrieg, dem "Bild mit weißem Rand" von 1912 (Solomon R. Guggenheim Museum, New York).
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.