Werktext
Das "Reitende Paar" gehört in die große Gruppe jener Frühwerke Wassily Kandinskys, in denen er mit märchenhaften, frei erdachten Szenerien eine poetische Bilderwelt voll rätselhafter Vielfalt beschwört. Der Zauber ferner, lang vergangener Zeiten, in die solche Szenen stets versetzt sind, erhöht dabei den Eindruck geheimnisvoller Irrealität. Neben biedermeierlichen Figurengruppen und mittelalterlichen Rittergestalten in altdeutschem Ambiente sind es besonders Bilder mit altrussischen Themen, die zu einem Schwerpunkt werden und zugleich einen Schlüssel für viele der Vorstellungen und Gegenstandsassoziationen in seinen späteren Werken bilden.
Das "Reitende Paar" entstand am Ende dieser frühen Periode im Winter 1906-07 während Kandinskys Aufenthalt in Sevres bei Paris. Eine querformatige Temperastudie und einige Bleistiftskizzen gingen der endgültigen Fassung voraus. Aus juwelenhaft leuchtenden Farbpartikeln entsteht das Bild eines jungen, eng umschlungenen Paares in russischer Tracht, das zwischen stilisierten Birkenstämmen und unter dem goldenen Netz ihrer Blätter im dunklen Vordergrund entlangreitet. Hinter ihnen ist der Bogen eines stillen, buntfunkelnden Flusses sichtbar, auf dem die weißen Segel zweier Wikingerschiffe, Boten einer unbestimmbar frühgeschichtlichen Zeit, im Mosaik der Farbflecken auftauchen. Jenseits des Flusses taucht die Silhouette einer altrussischen Kremlstadt mit bunten Kuppeln und Türmen wie eine Erscheinung über dem Wasser auf.
Zahlreiche Einflüsse mögen in dieses Bild, wie auch in andere Werke Kandinskys aus jenen Jahren, eingegangen sein. Der Symbolismus, der überall in Europa um die Jahrhundertwende auch in der bildenden Kunst den Glauben an die Manifestation von abstrakten, geistigen Inhalten verfocht, spielt für die Auffassung und den poetischen Charakter des "Reitenden Paares" ebenso eine Rolle wie die preziöse Ästhetik des Jugendstil. Auch unter den zeitgenössischen russischen Märchenillustrationen, ihrerseits nicht frei von den artifiziellen Formen des Symbolismus und Jugendstil, lassen sich verwandte Darstellungen als Vorlagen für das "Reitende Paar" finden.
Ebenso macht Kandinsky sich hier die Errungenschaften des Neoimpressionismus zu Nutze, der zu einer Spaltung der Gegenstandsfarbe und der pointillistischen Setzung einzelner Farbelemente gekommen war. Kandinsky benutzt die Farbe als Mittel zur Verschleierung des Bildinhalts. Dies ist einer der wichtigsten Züge seines künstlerischen Ansatzes; in einer seiner frühen Notizen für seine Schrift "Über das Geistige in der Kunst" heißt es: "Der Farbenreichtum im Bild muss den Betrachter mächtig anziehen und zugleich den tiefer liegenden Inhalt verbergen." Die einzelnen Elemente des "Reitenden Paares" – Schmuck und Zaumzeug des Pferds, die Gewänder der Figuren, die Strukturen von Himmel und Erde – sind in unzählige Farbpartikel zerlegt, in denen sich die Konturen der Gegenstände auflösen und vermischen.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.
Das "Reitende Paar" entstand am Ende dieser frühen Periode im Winter 1906-07 während Kandinskys Aufenthalt in Sevres bei Paris. Eine querformatige Temperastudie und einige Bleistiftskizzen gingen der endgültigen Fassung voraus. Aus juwelenhaft leuchtenden Farbpartikeln entsteht das Bild eines jungen, eng umschlungenen Paares in russischer Tracht, das zwischen stilisierten Birkenstämmen und unter dem goldenen Netz ihrer Blätter im dunklen Vordergrund entlangreitet. Hinter ihnen ist der Bogen eines stillen, buntfunkelnden Flusses sichtbar, auf dem die weißen Segel zweier Wikingerschiffe, Boten einer unbestimmbar frühgeschichtlichen Zeit, im Mosaik der Farbflecken auftauchen. Jenseits des Flusses taucht die Silhouette einer altrussischen Kremlstadt mit bunten Kuppeln und Türmen wie eine Erscheinung über dem Wasser auf.
Zahlreiche Einflüsse mögen in dieses Bild, wie auch in andere Werke Kandinskys aus jenen Jahren, eingegangen sein. Der Symbolismus, der überall in Europa um die Jahrhundertwende auch in der bildenden Kunst den Glauben an die Manifestation von abstrakten, geistigen Inhalten verfocht, spielt für die Auffassung und den poetischen Charakter des "Reitenden Paares" ebenso eine Rolle wie die preziöse Ästhetik des Jugendstil. Auch unter den zeitgenössischen russischen Märchenillustrationen, ihrerseits nicht frei von den artifiziellen Formen des Symbolismus und Jugendstil, lassen sich verwandte Darstellungen als Vorlagen für das "Reitende Paar" finden.
Ebenso macht Kandinsky sich hier die Errungenschaften des Neoimpressionismus zu Nutze, der zu einer Spaltung der Gegenstandsfarbe und der pointillistischen Setzung einzelner Farbelemente gekommen war. Kandinsky benutzt die Farbe als Mittel zur Verschleierung des Bildinhalts. Dies ist einer der wichtigsten Züge seines künstlerischen Ansatzes; in einer seiner frühen Notizen für seine Schrift "Über das Geistige in der Kunst" heißt es: "Der Farbenreichtum im Bild muss den Betrachter mächtig anziehen und zugleich den tiefer liegenden Inhalt verbergen." Die einzelnen Elemente des "Reitenden Paares" – Schmuck und Zaumzeug des Pferds, die Gewänder der Figuren, die Strukturen von Himmel und Erde – sind in unzählige Farbpartikel zerlegt, in denen sich die Konturen der Gegenstände auflösen und vermischen.
Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.