Im Zimmer von Gabriele Münter

© VG Bild-Kunst, Bonn 2018
Gabriele Münter, Im Zimmer, 1913

Details

Datierung
1913
Objektart
Gemälde
Material
Textiler Bildträger
Maße
88,1 cm x 99,8 cm
Signatur / Beschriftung
u. l.: Münter 1913; rückseitig mit weißer Kreide: V. 104, Nachlassstempel; auf dem Keilrahmen mit blauem Stift: G. Münter. Im Zimmer
Ausgestellt
Nein
Inventarnummer
G 18729 / FH 562
Zugang
Ankauf 2012
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, erworben mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung
Zitiervorschlag / Permalink
Gabriele Münter, Im Zimmer, 1913, Textiler Bildträger, 88,1 cm x 99,8 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, erworben mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018
https://www.lenbachhaus.de/digital/sammlung-online/detail/im-zimmer-30031775
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Werktext

"Im Zimmer" gehört zu den wenigen großen Figureninterieurs, die Gabriele Münter während der Periode des 'Blauen Reiter' schuf und die eine herausragende Stellung in ihrem Werk einnehmen. Es bildet mit den beiden bekannten Gemälden "Kandinsky und Erma Bossi am Tisch", 1912 und "Mann im Sessel" (Paul Klee), 1913 (Pinakothek der Moderne, München) eine Art Dreigestirn, das hinsichtlich Sujet und Format eine Sonderstellung in ihrem Œuvre einnimmt.

Das Bild entstand im Sommer 1913 in Berlin, als Münter für einige Wochen bei ihrer Schwester Emmy und ihrem Schwager Dr. Georg Schroeter zu Besuch war. Es zeigt Münters damals elfjährige Nichte Elfriede (Friedel) lesend in einem häuslichen Wohnraum. Die blockhaft aufgefasste Figur des Mädchens sitzt im weißgrauen Kleid groß in den Vordergrund gerückt in einem dunkelgrünen Sessel, ihr Kopf mit blonden Haaren ist gesenkt. In der linken, kleinteiliger gegliederten Bildhälfte findet sich ein weiterer grüner Sessel, auf dem als auffallender Farbakzent ein zinnoberrot gekleidetes Püppchen platziert ist.

Als außergewöhnliche Elemente in dieser Bildhälfte fallen zwei hintereinander auf den Boden gestellte Gemälde auf: ein Frauenporträt auf blauem Grund und ein Stillleben mit einer 'primitiven' weiblichen Aktskulptur. Diese beiden Bilder, die mit ihren dunklen Konturen und einfachen Farbflächen wie ein ins Naive gesteigertes Kondensat von Münters Malerei wirken, stellen zwei real existierende Gemälde dar. Beide wurden von ihrer Nichte Friedel gemalt und werden noch heute im Nachlass der Künstlerin aufbewahrt. Mit ihnen verstärkt Münter nicht nur den persönlichen Charakter des Porträts, sondern sie bringt mit dem Hinweis auf die 'Kinderkunst' einen weiteren zentralen Aspekt ihrer eigenen Malerei ein. Etwa zeitgleich mit den französischen Kubisten und deren Rezeption der 'primitiven' außereuropäischen Plastik hatte der Kreis des 'Blauen Reiter' unter anderem die Volkskunst für sich entdeckt, bayerische Hinterglasmalerei, russische Flugblätter oder auch die Kunst von Kindern. Münter und Kandinsky begannen ab 1908 Kinderzeichnungen zu sammeln, ihr Nachlass umfasst die große Zahl von ca. 250 Blättern. Friedels Malereien orientieren sich eindeutig an den Werken ihrer Tante – die sie in dem Frauenbildnis ihrerseits porträtiert haben dürfte – und bringen dennoch eine eigene Note in das Bild ein.

In Münters Gesamtkomposition kündigt sich, verglichen mit ihren bisherigen Bildnissen, eine leicht veränderte Form von Expressionismus an. "Im Zimmer" zeigt mit seiner leichten Aufsicht auf den Raum und den kantig gebrochenen, plastischen Formen der Mädchenfigur eine neue Stilstufe, die Einflüsse etwa von Pablo Picasso und den 'Brücke'-Malern mit aufgenommen hat. Gerade die Kunst der 'Brücke' war ihr 1913 präsent durch die Kontakte des 'Blauen Reiter' zu deren Vertretern in Berlin und auch zu Herwarth Waldens 'Sturm'-Galerie. Die Komplexität der bildnerischen Konnotationen – die 'geistige' Auffassung des Porträts, die Verweise auf 'primitive' Kunst und die mehrfache Anwesenheit von 'Weiblichkeit' im Raum – geben diesem Gemälde eine einzigartige Stellung in Münters Œuvre.

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2013.

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