München – Vor der Stadt von Wassily Kandinsky

Details

Datierung
1908
Objektart
Gemälde
Material
Öl auf Pappe
Maße
68,8 cm x 49 cm
Signatur / Beschriftung
in Blau u. l.: KANDINSKY | 1908.
Ausgestellt
Nein
Inventarnummer
GMS 35
Zugang
Schenkung 1957
Creditline
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
Zitiervorschlag / Permalink
Wassily Kandinsky, München – Vor der Stadt, 1908, Öl auf Pappe, 68,8 cm x 49 cm, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957
https://www.lenbachhaus.de/digital/sammlung-online/detail/muenchen-vor-der-stadt-30004360
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Werktext

Nach Jahren unsteten Wanderlebens waren Wassily Kandinsky und Gabriele Münter 1908 nach Bayern zurückgekehrt und hatten im Sommer zum ersten Mal den kleinen Ort Murnau im oberbayerischen Alpenvorland entdeckt. Die Arbeit in Murnau, zu der sich nun auch Alexej Jawlensky und Marianne von Werefkin gesellten, bedeutete besonders für Kandinsky und Münter die Befreiung aus einem Zustand jahrelangen Experimentierens und den entscheidenden Durchbruch zu eigenen künstlerischen Ausdrucksmitteln. Kurz darauf ließen sich die beiden Künstler endgültig in München nieder und bezogen im September eine gemeinsame Wohnung im Künstlerviertel Schwabing.

Als eines der ersten Bilder dieser neuen Periode entstand "München – Vor der Stadt", eine mit heftiger Handschrift und intensiven, beinahe explodierenden Farben gemalte Ansicht von Kandinskys neuer Umgebung am Rande des alten München. In lebhaften Wellenlinien von kräftigem Königsblau, Grün, Gelb- und Rottönen baut sich das Bild von der unteren Zone her auf. Dominierend ist das leuchtende Tiefblau, das sich im Himmel und einigen Elementen der bunten Architektur im oberen Drittel konzentriert und in den korrespondierenden dunklen Tönen am unteren Bildrand sein Gegengewicht findet. Offenkundig greift Kandinsky hier mit der wilden, unbekümmerten Art des Farbauftrags vorübergehend Einflüsse der "Fauves" auf, die ihm besonders Jawlensky von seinem Pariser Aufenthalt im Atelier Henri Matisse' vermittelt hatte. Das impulsive Kolorit des Fauvismus aus starken, reinen und flächig aufgetragenen Farben kam Kandinskys Bemühen um eine Betonung des Malmaterials, um ein Abdichten der Bildfläche und die Eliminierung jedes atmosphärischen Illusionismus sehr entgegen.

Bereits in den frühen Landschaftsbildern, den so genannten "kleinen Ölstudien", die Kandinsky jahrelang neben seinen märchenhaft-lyrischen "farbigen Zeichnungen" vor der Natur betrieben hatte, suchte er der Farbe einen größtmöglichen Spielraum zu geben: "Im Studienmalen ließ ich mich gehen. Ich dachte wenig an Häuser und Bäume, strich mit dem Spachtel farbige Streifen und Flecken auf die Leinwand und ließ sie so stark singen, wie ich nur konnte." Während die frühen Ölstudien bis 1907 jedoch mit kleinen Spachtelstrichen in einer spätimpressionistischen Manier gearbeitet waren, die Kandinsky schließlich keine weiterführende Perspektive mehr bot, setzt mit den Erfahrungen in Murnau und mit Bildern wie "Vor der Stadt" eine neue Phase ein, die ihn seinen künstlerischen Bestrebungen auch im Studium vor der Natur einen großen Schritt näher brachte. So verwirklicht dieses Bild auch mehr als jede frühere Ansicht, was Kandinsky in seinen "Rückblicken" als "die kräftige, farbensatte, in den Schatten tief donnernde Skala der Münchner Lichtatmosphäre" beschrieb.

Werktext aus: Friedel, Helmut; Hoberg, Annegret: Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München. Prestel Verlag, 2007.