Manifest für einen neuen Film

von Christian von Borries und Nina Franz.

Der neue Film orientiert sich nicht an den Vorgaben und Einschränkungen existierender Formate. Die Produktion sei aufwändig, heißt es, die technischen Mittel teuer, die Sendezeiten, Autorenrechte, die Finanzierungsmöglichkeiten und Sachzwänge, die Produktionsassistenten, die Catering-Wagen, die Teams und Manager, das Equipment und dessen Versicherung, die Unterhaltungs- und Kulturindustrie, die Institutionen mit ihren Abläufen und Presseabteilungen, Antragsverfahren und Rechtsvorlagen, heißt es, seien die Voraussetzungen für einen neuen Film. Der neue Film setzt sich über diese Voraussetzungen hinweg. Gegen das Insistieren auf der Notwendigkeit setzt der neue Film die Möglichkeit. Das Material ist schon produziert, die technischen Mittel hat jeder schon in der Hand. Wer zum Geschichte machen zugelassen ist und wer nicht, ist keine im Voraus ausgemachte Sache.

Der neue Film behandelt Sujet und Handelnde gleichwertig. Es gibt keine Trigger und keine ästhetischen Codes, keine Narration oder Modulation, die vorgeben, wie der Film verstanden werden soll. Das Filmbild ist eine ästhetische Oberfläche, die Sequenzen des Films folgen keinem vorhersehbaren Ablauf. Was heute in herkömmlichen Bildmedien passiert ist getrieben von der Angst zu missfallen. Man befürchtet dort dass die Dinge nicht verständlich genug seien. Der neue Film wendet sich gegen den verstehenden Gestus des Dokumentarischen, die vermeintliche Klarheit erklärenden Off-Stimme. Dagegen setzt der neue Film eine präzise Ambiguität.

Der neue Film verstößt gegen den kommerziellen Zwang zum Geschichtenerzählen. Die Wirklichkeit des neuen Films geht nicht synchron mit der Gegenwart. Sie wird durch Erzählungen wahrscheinlicher Begebenheiten konstruiert. Der neue Film bedient sich am Material der Gegenwart und besteht auf der notwendigen Fiktionalisierung seiner sinnstiftenden Akte. Die Trennlinie zwischen Faktischem und Symbolischem wird so verwischt. Der Screen erscheint als symbolische Wirklichkeit und zelebriert den Kollaps von Aktuellem und Virtuellem

Die Narration des neuen Films basiert nicht auf Plots und Storytelling, sondern orientiert sich an der Funktion des Such-Algorithmus, der über Ähnlichkeiten Verbindungen zwischen Bildern herstellt, statt über einen vordergründigen Sinn. Der von Gilles Deleuze geprägte Begriff des „Fabulierens“ bezeichnet diese ästhetische Unschärferelation: Kunst wird umso politischer, je heterogener ihre Zeichen operieren, je weiter die optischen und auditiven Zeichen auseinanderdriften. „Sinn“ wird dadurch weniger individuell, sondern „dividuell“ – vielstimmig. Im neuen Film gibt es keine synchronisierten, „natürlichen“ Klänge, die dem Bild folgen, Klang unterstützt nicht mehr die Bildpolitik, sondern wirkt als Kommentar.

Im Filmbild erscheint Gleichheit als eine Art Realität, die der neue Film unterläuft. So gewinnt das Virtuelle im Bild einen utopischen Horizont. Die „absichtliche Verarmung des Ausdrucks“ und das „Stotternlassen der Codes“ sind Methoden des neuen Films.  Rekursive Elemente, Komprimierung, Fragmentierung, Verlangsamung und gezielte Auslassungen verwirren die Zeitachsen und Hierarchien des Erzählens und bergen Zusammenhänge, die durch eingewöhnte Darstellungsmodi unterschlagen werden.

Die Kamera des neuen Films ist gleichgültig. Sie wendet  sich gegen die Trademark-Ästhetik und ihren Wiedererkennungswert. Der neue Film folgt keiner Repräsentationslogik, in ihm leben alle anderen mit, auch die nicht ausdrücklich Genannten, Unsichtbaren, Unterrepräsentierten.

(Februar 2014)

Christian von Borries ist Musiker, Produzent und Filmemacher in Berlin. Sein Film „The Dubai in Me“ (2010) thematisiert die Diskrepanz zwischen dem Traum vom entfesselten Wachstum und unwürdigen Arbeitsbedingungen.

Im Rahmen der Ausstellung PLAYTIME zeigt die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München am Di, 20. Mai 2014, 19 Uhr den Film IPHONECHINA von Christian von Borries.