Ein Interview mit Rosemary Butcher

von Trang Vu Thuy.

No to spectacle
No to virtuosity
No to transformations and magic and make believe
No to glamour and transcendence of the star image
No to the heroic
No to the anti-heroic
No to trash imagery
No to style
No to camp
No to seduction of the spectator by the wiles of the performer
No to eccentricity
No to moving or being moved.
[Yvonne Rainer, No Manifesto, 1965]

Mit diesem Diktum formuliert Yvonne Rainer eine Abkehr von jeglichen Formen des konventionellen Tanztheaters, mit welchem sie stellvertretend für die Bewegung des berühmten Judson Dance Theater und das geistige Klima des zeitgenössischen Tanzes der 1970er Jahre stand. Nein zum Spektakel, Nein zur Virtuosität, Nein zur Transformation und Magie … etc. Rosemary Butcher stellt Rainers „No Manifesto“ programmatisch an den Anfang ihrer virtuellen Chronik. Die Ideen der Judson-Bewegung haben nicht nur ihre künstlerische Arbeit als Choreografin und Tänzerin entscheidend geprägt, sondern Butcher exportierte diese nach ihrer Rückkehr aus New York Anfang der 1970er Jahre auch nach Europa. Seither hat Rosemary Butcher immer wieder versucht die gängigen Vorstellungen von Tanz herauszufordern. Mit ihren radikal konzeptuellen Arbeiten, ihrem engen Bezug zur Gegenwartskunst sowie den oft ungewöhnlichen Aufführungsorten beeinflusste sie mehrere Generationen heutiger ChoreografInnen. Sie gilt als eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des zeitgenössischen Tanzes sowie Ikone des New Dance bzw. Postmodern Dance.
Im Rahmen der Tanz-Reihe JUDSON DANCE AND ON AND ON AND ON im Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus entwickelte Rosemary Butcher eine neue Arbeit mit Tänzerinnen aus München. Wie in vielen Ihrer Werke verhandelt sie in ihrem neusten Stück die Parameter von Raum und Zeit, Vergänglichkeit und somit sämtliche Dimensionen des choreografischen Prozesses. Der Körper, der durch Bewegung oder Stillstand, Wiederholung und Pausen gewissermaßen Spuren im Raum hinterlässt, steht diesmal im Fokus ihrer Untersuchung. Butcher untertitelte ihre neue Arbeit zudem als „test piece“ und deutet sie somit als Experiment .  Seit Anfang August probte sie zusammen mit Sabine Glenz, Judith Hummel, Katrin Schafitel und Zufit Simon in der Muffathalle in München. Wir trafen Rosemary Butcher vor einigen Wochen an einem verregneten Nachmittag und begleiteten sie während der Proben im Studio mit den Tänzerinnen.

Rosemary Butcher, Sie entwickeln eigens für den Kunstbau des Lenbachhauses ein neues Stück, welches im Kontext der Tanz-Reihe JUDSON DANCE AND ON […] steht. Welche konkreten Ideen des Judson Dance Theaters beeinflussen Ihre Arbeit bis zum heutigen Tag?
Es war mein Glück, dass ich zu einer Zeit in New York war als sich das Judson Dance Theater an seinem Höhepunkt befand und ein Paradigmenwechsel innerhalb des zeitgenössischen Tanzes stattfand. Die Ideen des Judson Dance Theater beeindruckten mich vor allem durch ihre Radikalität und die Hinwendung zu weniger formalisierten Bewegungen sowie die verstärkte Subjektivität des einzelnen Tänzers, aber auch ihre Verknüpfung zur zeitgenössischen Kunst. Tanz war nicht mehr an die üblichen Strukturen gebunden, wie das hierarchische Verhältnis von Choreograf/in und Tänzer/in, und Aufführungen waren sowohl im Außenraum als auch in Ausstellungsräumen und Galerien möglich. Für mich gab es nach diesen Erfahrungen in New York, wo ich u. a. an den Workshops von Trisha Brown und Yvonne Rainer teilnahm, kein Zurück mehr. Ich konnte von nun an nicht mehr mit den mir zuvor vermittelten Inhalten und Konventionen des  Modern Dance weiterarbeiten. Für mich stand fest, dass ich die konzeptuelle Arbeit für meine weitere künstlerische Entwicklung fortführen würde.

Würden Sie diese Zeit zu den wichtigsten Wendepunkten in Ihrer tänzerischen Karriere zählen?
Neben meinem Aufenthalt in New York und die entscheidenden Einflüsse der Judson-Bewegung war meine Studienzeit am Dartington College of Arts sehr prägend, weil das College ein Ort war, der mir die Möglichkeit gab neben Tanz, Improvisation und Theater sehr viel experimenteller zu arbeiten als in den vorherrschenden Institutionen in England. Zudem sind die Mitglieder des Judson Dance Theater wie Steve Paxton oder Trisha Brown während des Dartington Festivals in den 1980er Jahren aufgetreten und trugen durch ihre Performances entscheidend dazu bei, dass die Ideen des postmodernen Tanzes von immenser Bedeutung für die künstlerische Ausrichtung des Colleges wurden.

Welche Unterschiede gibt es in den Entwicklungen des postmodernen Tanzes in den USA und in England?
In England waren wir in den 1970er und 1980er Jahren noch lange nicht so weit. Es gab nichts Vergleichbares wie die Judson-Bewegung in den USA. Man hatte in den 1980er Jahren gerade einmal den Modern Dance für sich entdeckt, z.B. unterrichtete die London Contemporary Dance School noch im Stile von Martha Graham. Für mich war das bereits nicht mehr zeitgemäß, weil mir die Zeit in New York ein ganz anderes Verständnis von Tanz lehrte. Es gab in England bedauerlicherweise nie einen Ort wie die Judson Memorial Church oder eine offizielle Formierung und Kollaboration aus TänzerInnen und KünstlerInnen, die eine gemeinsame Vision teilten und den zeitgenössischen Tanz durch künstlerische Strategien und ästhetische Konzepte zur Neuerung führten.

Sie betonen häufig, dass Ihre Performances durch unterschiedliche Künste inspiriert sind und in Galerien oder Ausstellungsräumen stattfinden. Gibt es eine/n besondere Künstler/in, die/den Sie als bedeutsam für ihre eigene Arbeit empfinden?
Die visuellen Künste haben mich schon immer sehr stark angezogen und beeinflusst, mehr als viele Arbeiten oder KünstlerInnen aus den Bereichen Tanz oder Performance. Ich fühle mich besonders von den Werken der Konzeptkunst aus den 1960er Jahren verbunden, aber auch die Kunst der Young British Artists (YBA) sowie deren Ausstellung „Sensation“ von 1997 faszinieren mich sehr. Zusätzlich interessieren mich immer wieder die künstlerischen Arbeiten, die sich architektonischen Fragen stellen und mit dem Raum befassen. Das ist ein Aspekt, der auch für meine Arbeit von besonderer Bedeutung ist.

Der Kunstbau des Lenbachhauses und die Installation UNTITLED (FOR KSENIJA) von Dan Flavin bieten eine sehr spezielle Situation: Welche besonderen Faktoren sind entscheidend für die Entwicklung von ihrem neusten Stück „New Work“?
Ich habe natürlich meine Hausaufgaben gemacht. (lacht) Und mich zuvor mit der Geschichte dieses besonderen Ortes beschäftigt. Der Kunstbau fasziniert mich ähnlich wie den stillgelegten S-Bahnhof Olympiastadion, der zu den Olympischen Spielen 1972 in Münchener Norden gebaut und später geschlossen wurde. Der Kunstbau hingegen ist ein Bau der als Leerraum zwischen dem U-Bahnhof Königsplatz und der Straßenoberfläche zunächst keine Funktion hatte und erst in den 1990er Jahren als Ausstellungsraum umgenutzt wurde. Diese besonderen Architekturen und ihr Nicht- bzw. Umnutzung faszinieren mich, weil sie als moderne Ruinen eine Geschichte erzählen und Spuren aufzeigen. Seit einiger Zeit beschäftige ich mich intensiver mit dieser Thematik und interessiere mich für die Darstellungsweisen von Zeit und Geschichte sowie Artefakte, d.h. materialisierte, aber auch immaterielle Spuren. So befasse ich mich  in der neuen Arbeit für den Kunstbau ebenfalls mit diesen Fragen. Dan Flavin visualisiert bzw. illuminiert dabei meine Ideen durch seine Lichtinstallation. Zudem ist seine reduzierte Formensprache nicht sehr fern von meinem künstlerischen Verständnis von Tanz, sodass unsere Werke sehr gut miteinander agieren können.

Gibt es für Sie die Unterscheidung von Bewegung und Tanz?
Das ist eine interessante Frage. Ich denke, dass ich den Unterschied weiß, jedoch ist  dieser nur sehr schwer zu beschreiben. (lächelt) Hm..
Der tanzende Körper erfährt seine Dynamik durch die koordinierte Bewegung, die einer bestimmten Rhythmik und strukturierten Form sowie Abfolge unterliegt. Während der aktivierte Körper durch Bewegungen zwar etwas sehr Alltägliches und Triviales vollziehen mag, aber diese Aktivität ein ebenso poetisches wie ästhetisches Moment aufweisen kann. So interessiere ich mich vornehmlich für die „Aktivität“ des Körpers, aber vermutlich auch für die Schnittstelle zwischen Bewegung und Tanz.

Trang Vu Thuy ist Volontärin in der Abteilung für Kommunikation in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus.