Schnittchen an der Schnittstelle
Museum & Theater

von Ronja Lotz.

Es soll ja Menschen geben, die auf Vernissagen nur deswegen an zu treffen sind, weil es dort kostenlos Wein und Schnittchen gibt. Der Theatermacher René Pollesch sagt das frei heraus und lud zusammen mit der Städtischen Galerie im Lenbachhaus am Montag, den 18. November 2013, zu einem einmaligen Spieleabend.

Im neuen Atrium sowie auf der Empore des Lenbachhauses wurden Spieltische aufgebaut für das monopolyartige Gesellschaftsspiel „Du hast mir die Pfanne versaut, du Spiegelei des Terrors“. Obwohl der Abend erst ab 19 Uhr beginnen sollte, kamen die ersten Gäste bereits um 18 Uhr und warteten auf den Einlass. Schnell waren alle Plätze belegt, denn immerhin ging es darum, sich die absolute Befriedigung zu erspielen. Waren nämlich alle zugeloste Fetische und politisch unkorrekten Neigungen – man könnte sie auch Perversionen nennen – der Spieler gestillt, hatten sie die Chance einen Orgasmus zu würfeln. Um 21 Uhr war es dann soweit: Der dreizehnköpfige Chor bestehend aus jungen Schauspielern – zum großen Teil Studenten der Otto Falckenberg Schule – konnte dem glücklichen Gewinner mit einer Performance und vielen „Ahhhhhs“ und „Ohhhhs“ gratulieren.

Währenddessen war René Pollesch, der wie alle Schauspieler einen Smoking trug, höchstpersönlich um das leibliche Wohl seiner Gäste besorgt und dirigierte sogar zeitweise nicht nur seinen Chor, sondern auch das Studententeam, welches während des ganzen Abends freie Getränke sowie heißbegehrte Schnittlauch-Schnittchen verteilte.

Uraufgeführt wurde der Theaterabend bereits in der Berliner Galerie Buchholz mit dem Titel „Der Dialog ist ein unverständlicher Klassiker – Der Schnittchenkauf 2011-2012“. Pollesch bezieht sich ursprünglich auf Brechts „Messingkauf“, eine unvollendete Sammlung theoretischer Texte zum Theater. In dem Vorwort zu dem Katalog der Galerie Buchholz heißt es: „Wo in Brechts Messingkauf seine Theaterpraxis als Widerstreit von Meinungen zwischen einem Philosophen, einem Dramaturgen, den Schauspielern und einem Beleuchter ausgebreitet wird, wird in diesem Buch auf diese Form der Repräsentation verzichtet. Die Schauspieler, an die ich denke, sind von Philosophen infiziert und schon zu schlau für Unterweisungen.“ Polleschs Schnittchenkauf denkt den „Messingkauf“ Brechts also auf mehreren Ebenen weiter, indem er den Schauspielern mehr Autonomie zurechnet.

Es geht darüberhinaus um festgefahrene Erwartungen eines Publikums, das vielleicht nur einen normalen Theaterabend besuchen oder eben kostenlose Schnittchen abgreifen wollte. Diese Erwartungen unterläuft und überfordert der Theatermacher, der mitunter an der Berliner Volksbühne, den Münchner Kammerspielen, dem Hamburger Thalia Theater oder dem Schauspielhaus Zürich inszenierte, mit dem performativen Ereignis im Museum gründlich.

Was bleibt ist ein freudig aufgekratztes Publikum, das mit leuchtenden Augen das Lenbachhaus verlässt. Und das, obwohl nicht jeder zu einem Orgasmus kam. Immerhin ging es auch bei dem monopolyähnlichen Spiel weniger um Konsens, als vielmehr darum, sich gegenseitig übers Ohr zu hauen.

Danach wurde nämlich teils weiter gespielt, teils zu themenverwandter Musik, wie Sexual Eruption von Snoop Dog, ausgelassen getanzt. Und natürlich wurde weiterhin während des ganzen Abends fleißig Schnittlauch-Schnittchen serviert – als Schnittstelle zwischen Kunst & Theater versteht sich.

Ronja Lotz ist Studentin der Kunstgeschichte an der LMU und schreibt gerade an ihrer Magisterarbeit.

Ein Interview mit René Pollesch finden Sie online im SZ-Magazin.