Michaela Melián. Electric Ladyland

von Hanne Loreck.

Eine elektrisierende, eine dichte Ausstellung, die die Besucher_innen in ein multimediales Diagramm hineinsaugt, noch während sie die Rampe in die Halle des Kunstbaus hinunterlaufen. Dann schließlich findet sie sich vollkommen in den Bildkanal der 70 m langen, beidseitig raumhohen Wandzeichnung und in ein Klanggewebe involviert. Ab jetzt kommen Denken und sinnliches Wahrnehmen gleichermaßen zum Zug; Materialien, Medien, Metaphern fordern alle Aufmerksamkeit; Faszination wird zu einem Trigger der Annäherung an komplexe Anordnungen. Es beginnt vielleicht mit der Beobachtung der verschiedenen Leuchtphasen der riesigen zentralen Glühbirnen-Wolke, einem der wenigen farbigen Momente im dominanten Schwarz-weiß und Silbergrau der Installation. Das ist eine äußerst überzeugende, präzise formale Entscheidung, denn die Farbreduktion lässt sofort an Stiche, Grafiken und frühe Fotografien bzw. Filme denken, wissenschaftliche Diagramme eingeschlossen.

Ein dichtes Liniengeflecht konstelliert sich an manchen Stellen zu Figuren, an anderen werden exemplarische Orte der Wissenschaft skizziert. Überlebensgroß reproduziert und doch im Gestus der Handzeichnung sind transhumane Ikonen umrissen: Gynoiden, Homunkuli, Avatare, Cyborgs, Ganzkörperprothesen und Science-Fiction-Roboterinnen, an L'Eve future (1886) oder Metropolis' Maria (1927) ist etwa zu denken. Michaela Melián kombiniert sie mit Experimentalanordnungen und Sehmaschinen, um das Feld ihrer Entstehung zu markieren. Spannen sich die Grapheme für das Labor von alchimistisch-chemisch konnotierten Glaskolben bis zum heutigen Schaltpult, so pendelt die Ikonografie technisch gestützten Sehens zwischen Camera obscura, erstem Röntgenapparat und aktuellem Elektronenmikroskop. Zusammen bilden sie ein Bildarsenal aus Wissenschaft und Imaginärem, welches die materielle Konstruktion mit der immateriellen Projektion überblendet zeigt und umgekehrt. Ob wir an Prothesen im Sinn künstlicher Glieder denken, oder das Mikroskop seiner schieren Abbildungsgröße halber wie eine Rakete anmutet, eine den Bildteppich begleitende Assoziation ist das Militärische, bekanntermaßen ein Hauptmotor von Forschung generell.

Unscharf verläuft also diese Grenze zwischen dem Synthetischen und dem ‚Natürlichen' von der Antike bis heute, bewegt wie der freihand gezogene Tuschestrich. Überhaupt die raffiniert balancierte Relation zwischen dem Analogen und dem Digitalen: So stark der Gesamteindruck einer analogen Ästhetik auch ist – keine Kopfhörer für 3D-Klang, keine neuesten Oculus Rift-Brillen. Solches Equipment hätte sich im thematischen Kontext angeboten; die Entscheidung fiel jedoch zugunsten der nicht-individualisierten, wenn man so will: kollektiven Wahrnehmungserfahrung –, so sehr wird allerdings mit dem Digitalen operiert. So auch bei der Klangschicht, für die Michaela Melián analoge und elektronische Stimme und Instrumente zusammenführt. Wie oft bei der Künstlerin stiftet Musik die Recherche an, die dann zu Klang- und visuellen Samples führt: hier Jacques Offenbachs Oper Hoffmanns Erzählungen, 1880/81, 2. Akt mit der Vertonung der Automate Olympia nach E.T.A. Hoffmanns legendärem Der Sandmann (1816). Da begleitet die Besucher*in die zarte, zerbrechliche Präsenz einer weiblichen Stimme, dann wieder bringt sie die elektronische Imitation regelmäßiger Atemzüge aus dem eigenen Rhythmus, greift doch die Routine des minimal verlangsamten Walzertakts mit mechanischer Gewaltsamkeit nach ihr.

Optisch werden wir Betrachter_innen zu Produzent_innen einer permanenten figuralen Transformation. Diese kennt keinen simplen Fortschritt, keine schiere wissenschaftliche Optimierung auf der Timeline; entgegen der traditionellen Chronologie von Erfindungen und Forschungsresultaten trägt Michaela Melián die Medien und Genres ineinander ein und verteilt die experimentellen Zeugungen über Bildzeichen für Ströme und Strahlen, organisiert sie in Wirbeln, Windungen und Spiralen – allesamt Geometrien der Veranschaulichung, bekannt aus Physik- Biologie- und Mathematikbüchern. Dort dienen sie als Hilfsmittel, um Bewegungen und Prozesse zu signalisieren. Zwischen Analyse und Synthese, zwischen Element und Kondensat wirbeln die Moleküle, erscheinen die Genome getaktet, und die DNA-Helix verspricht die Beruhigung alles Geordneten: Stand der Lebenswissenschaft und Phantastik halten sich die Waage.

So transformiert die Installation den analytischen Blick auf die Zuschreibungen an künstliche Menschen, die man kulturhistorisch dann mit Eigenschaften von Weiblichkeit, voran mit weiblichen Vornamen, etikettierte, wenn das Naturhafte an der Reproduktion betont werden sollte. Das Konzept der Reproduktion liegt allerdings schon länger nicht mehr bei der Biologie allein. Sogenannte natürliche Fortpflanzungsprozesse teilen es sich mit automatisierten Arbeitsabläufen und der Gentechnologie. Die Frage der Machbarkeit von Leben hat sich historisch-technologisch also erledigt. Jetzt geht es nicht mehr um das Ob, sondern um eine Ethik des Wofür. Um dafür Argumente zu gewinnen, zieht Michaela Melián die Geschichte heran, die neben der Ambivalenz des Technologen phantastische visuelle Modelle bereithält. Ebenso rätselhafte wie optisch anziehende Figuren des Virtuellen, die immer schon vornehmlich etwas über die Zukunftsvisionen wie -ängste einer Gesellschaft aussagten. Ob nun emanzipatorisch oder skeptisch vorgebracht, die Frau verkörpert dabei utopische Momente, und Sigmund Freuds abfällige, zumindest jedoch ratlose Bestimmung der Weiblichkeit, es handele sich dabei um einen "dark continent", könnte Jimi Hendrix' titelgebendem Electric Ladyland (1968) zufolge eine Wendung nehmen: Die E-Bewohnerin fragt nicht nach ihrem Ursprung. Sie begreift sich selbst als Kombination aus Stoffen und Wirkungsweisen und also auch als kombinierbar: mit dir, mit mir. So wäre sie in der schwarzen sonischen Landschaft die begehrenswerte Vertreterin einer zukünftig nichtrassistischen Gesellschaft.

Hanne Loreck ist Professorin für Kunst- und Kulturwissenschaften/Gender Studies an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und Mitglied des Studienschwerpunkts Theorie und Geschichte.

Veröffentlicht am 28. April 2016.