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Erwin Wurms Gurke

von Katrin Dillkofer.

In der vergangenen Woche wurde ein ziemlich winziges Kunstwerk zum Favoriten gekürt. Die Rede ist von Erwin Wurms „Untitled“ (Gurke Nr. 42)“. Diese maßstabgetreue Gurke ist ein merkwürdiges Ding, denn sie liegt nicht etwa gekrümmt da wie beispielsweise auf einem Teller kurz vor dem Verzehr, sondern richtet sich mit ihren ganzen 8,5 cm vor dem Betrachter auf, als würde sie über eine eigene innere Kraft verfügen. Sie trotzt der Gravitation. Die Gurke besitzt einen Körper. Sie scheint lebendig zu sein, wirkt irgendwie menschlich. Beim genauerer Betrachtung kommen sogar Gesichtszüge zum Vorschein. Ganz oben, wo sich das Grün gelblich einfärbt, könnte man, wenn man wollte, Augen erkennen. Eine Ahnung von dem Gesicht der Gurke gibt auch der zehnjährige Jakob in seiner Buntstiftzeichung. Tatsächlich hat Erwin Wurm eine gehörige Anzahl von Gurken gestaltet, in allen Größen und Formen und sie augenzwinkernd mit dem Titel „Selbstporträt als Gurke“ versehen. Auch ein „ernsthafter“ Künstler muss gelegentlich ein paar Schritte zurücktreten, um über sich selbst zu lachen.

Jakob ist auch deswegen von der Gurke beeindruckt, „weil sie 3D ist und dadurch ausschaut wie in echt“. Die Gurke ist aus Acrylharz gefertigt. Jede Noppe, alle Grünnuancen und sogar das Feuchte der Oberfläche sind ganz und gar realistisch wiedergegeben. Allerdings würde man sich beim Versuch zu kosten aufgrund der Härte des Materials jäh die Zähne ausbeißen.

Wie kommt der Künstler auf die Idee, eine aufrechte Gurke auf den Museumssockel zu stellen? Gerade eine Gurke, warum kein anderes Gemüse? Warum die schmunzelnde Verlebendigung? Warum die humanen Züge?

Erwin Wurm wurde gebeten, für eine Preisverleihung eine Trophäe zu entwerfen. Da kommt ihm die Gurke in den Sinn. Vielleicht deshalb, weil die Gurke als Zeichen für einen Sieg völlig sinnlos ist – oder blödsinnig oder lächerlich. Jemand, der als Symbol seines Sieges eine Essiggurke erhält, könnte als ein „saurer Miesepeter“ angesehen werden aber ebenso gut auch als „heiterer Kerl“ ausgezeichnet werden, denn sauer macht ja bekanntlich lustig. Erwin Wurm parodiert mit seiner Gurke nicht nur die Erscheinung einer Trophäe, die für gewöhnlich eine pathetische Form besitzt und zumeist aus Gold oder einem anderen kostbaren Edelmetall gestaltet ist. Auch das Siegen selbst wird als ein in unserer Gesellschaft selbstverständliche und höchst erstrebenswerter Antrieb in Frage gestellt. Es ist doch ein wenig albern, wenn es nur ums Gewinnen geht.

Katrin Dillkofer ist wissenschaftliche Volontärin in der Abteilung Sammlungen / Ausstellungen / Forschung am Lenbachhaus.