Ein Manifest der Freundschaft

von Jean Marie Carey.

Es war der Beginn einer der faszinierendsten Künstlerfreundschaften des 21. Jahrhunderts, als sich August Macke und Franz Marc im Jahre 1910 das erste Mal in München begegneten. Trotz unterschiedlichem Temperaments und einiger persönlicher und künstlerischer Auseinandersetzungen blieb ihr Verhältnis bis zu Mackes Tod gleichermaßen vertraut. Neben ihrer herzlichen Korrespondenz bildet das monumentale Wandbild »Paradies«, das sie im Oktober 1912 gemeinsam in August Mackes Bonner Wohn- und Atelierhaus malten, ein einzigartiges Zeugnis ihrer innigen Freundschaft.

Die Darstellung von Adam und Eva im Garten Eden sowohl als Metapher als auch Erzählung und die künstlerische Suche nach dem (verlorenen) Paradies sind programmatische Charakteristika für das Werk beider Maler: Körper und Geist, Mensch und Tier, Abstraktion und Realismus vereinen sich hier zu einem utopischen Denkbild. Marc und Macke führen uns in diesem Gemeinschaftswerk die Symbiose von Kreatur und Natur in ausschließlich weich geschwungenen Formen vor. Tiere und Landschaft sind formal und farblich in vollkommener Weise analogisiert.

Bereits lange vor der Entstehung des Wandbildes »Paradies« wurde immer wieder über ein mögliches Motiv für eine gemeinsame Arbeit diskutiert. Als Macke Ende 1910 nach Bonn zieht und kurze Zeit später schwärmerisch schreibt „August in den Kalkwänden“ (Februar 1911), antwortet ihm der Freund: „Behalte eine Kalkwand auf für mich.“1 Nach einem gemeinsamen Aufenthalt in Paris im Herbst 1912 logierte das Ehepaar Marc zwei Wochen bei ihren Bonner Freunden August und Elisabeth Macke und der lang geschmiedete Plan erfüllt sich: Im Atelier von August Macke malen die beiden Künstler das »Paradies« mit Ölfarben und Tempera auf den trockenen Kalkputz: Figuren wurden skizziert, dann gemalt und wieder übermalt: Evas Gesicht wurde verändert, die Zunge des Rehs im unteren rechten Teil des Wandgemäldes verschwand, um als ein Seerosenblatt wieder aufzutauchen. Die kleine Wespe am unteren Bildrand soll von Maria Marc stammen.

Die starken, geschwungenen Körper eines sich streckenden Adams und einer sitzenden Eva führen das Auge des Betrachters zu den ­­­– in ihrer sündlosen Nacktheit undifferenzierten – Tieren ihrer gemeinsamen Welt. Das jetzt angezogene Paar, dem Garten Eden den Rücken zugewandt, verlässt das Paradies mit einem melancholischen Blick zur ihrer Rechten. Besonders für Marc wurde die Idee zu einer Art Obsession, dass Menschen zu einem Status kosmischer Perfektion zurückkehren müssen, um eines Tages wieder wahrzunehmen, was real ist. “Die Paradiesgeschichte bleibt doch die entscheidende Menschheitsgeschichte,” schreibt Marc drei Jahre später. “… Darum verliere ich mich noch nicht an die Welt, ich sondere meinen Geist ab vom Weltleben, ich lebe im Glauben statt im Weltverbessertum.”2

Fast 70 Jahre lang blieb das gemeinsam geschaffene Paradiesbild in Mackes Atelier im Dachgeschoss seines Wohnhauses im Ursprung erhalten und wurde erst 1980 aus der Wand heraus genommen und nach Münster in das Westfälischen Landesmuseum übergeben. Anfang November 2012 begann die Restauratorin des LWL-Landesmuseum Münster an dem 1,80 x 4 Meter großen Wandbild zu arbeiten. Das Werk wurde schonend gereinigt. Kleine Risse wurden geflickt. Schließlich wurden die leuchtenden Farben wiederhergestellt. Doch das Bild, das zwei Kriege, hohe Luftfeuchtigkeit, stark wechselnde Temperaturen in der unisolierten Dachgeschosswohnung und 1980 die Abnahme von der Wand sowie den Umzug nach Münster überlebte, ist immer noch sehr empfindlich. Vielleicht ist es, wie der Garten Eden, nicht für die Ewigkeit gedacht, im Gegensatz zu der Freundschaft, aus der es hervorging und die für immer bleiben wird.

Jean Marie Carey ist Doktorandin der Kunstgeschichte an der University of Otago in Dunedin, Neuseeland und promoviert u.a. über das Werk von Franz Marc.
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1 Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 43-48.
2 Siehe den Brief von Franz Marc an Maria Marc, ohne Ort, 27.3.1915, in: Briefe aus dem Feld, hrsg. v. Klaus Lankheit und Uwe Steffen, München: Piper, 1993, S. 51.