Angela Bulloch

The space that time forgot

Ausstellungsansicht The Space that time forgot

Die Ausstellung "The space that time forgot" ist die erste Einzelausstellung von Angela Bulloch (* 1966) in München. Dem Titel der Ausstellung folgend wird die Künstlerin Modelle der Wahrnehmung des Raumes und der Zeit verschränken. In The space that time forgot nähert sich Angela Bulloch dem Sujet der Astronomie. Im Zentrum dieser Arbeiten stehen die Ökonomie und Semantik interplanetarischer und interstellarer Verhältnisse, ihre Gravitations- und Kräftefelder, sowie die Formen visueller Repräsentation, welche die Erde, unser Sonnensystem, das Universum und der Wissenschaftszweig der Astronomie überhaupt auf dem Weg vom Zeitalter der Aufklärung in die globalisierte Popkultur unserer Zeit erfahren haben.

Für die Ausstellung im Kunstbau hat Angela Bulloch terrestrische und extraterrestrische Perspektiven auf den Sternenhimmel und die Erde in Projektionen und Lichtinstallationen entworfen. Ihre Night Skies zeigen ausgewählte Bereiche der Himmelssphäre, die aus einer Perspektive weit jenseits der Erde entstanden sind. Diese Arbeiten reflektieren die Unmöglichkeit, die Ordnung des Universums von einem Punkt aus zu überschauen. Jede mögliche Antwort verweist auf die Abhängigkeit von der Perspektive, aus der heraus sie entstanden ist, und reiht sich damit in das große Thema der Repräsentationskritik ein.

Ein wesentlicher Bezugspunkt dieses Themas ist die Erforschung und synästhetische Überformung digitaler Klang- und Bildinformationen. Prototypisch ist dies in der Installation Z Point aus dem Jahr 2001/2004 verwirklicht, eine der wichtigsten Arbeiten von Angela Bulloch der letzten Jahre und laut Prof. Dr. Hans Dieter Huber "einer der ersten Höhepunkte der Kunst des 21. Jahrhunderts". Als einer der zentralen Bestandteile der Ausstellung nimmt Z Point, eine Licht und Ton Installation aus 48 sogenannten Pixel Boxen, Bezug auf den 1970 von Michelangelo Antonioni realisierten Film Zabriskie Point. Die von Angela Bulloch entwickelte Pixel Box ist ein dreidimensionaler Würfel, der mittels eines modularen Lichtsystems in den Grundfarben Rot, Grün und Blau wie ein 16 Millionen Farben-Bildschirm programmiert werden kann. Pixel steht für "picture element" und ist die kleinste Einheit zur Darstellung eines Bildschirmbildes. Die rechteckige Form der Pixel Box erinnert wiederum an künstlerische Überlegungen der Minimal Art, z. B. an Arbeiten von Dan Flavin oder Donald Judd, und deren Auseinandersetzung mit Geometrie, Reduktion sowie farblichen Kompositionen.

Für die Ausstellung The space that time forgot hat Angela Bulloch den Musiker Michael Iber gebeten, gemeinsam mit ihr eine Soundinstallation zu konzipieren. Die 24-kanalige Soundinstallation Z Phrase  konzentriert sich auf einen einminütigen Ausschnitt aus dem von David Grubbs entwickelten Soundtrack für Angela Bullochs Z Point. Mithilfe zweier durch den Musiker Michael Iber entwickelter Computerprogramme wird dieses Ausgangsmaterial vielfach variiert und im Raum verteilt: als Ganzes oder in zeitlich stark gedehnten kleinsten Partikeln, für sich alleinstehend oder zu Klangkaskaden aufeinander getürmt.

Mit der im Rahmen einer langjährigen Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Christian von Borries entstandenen "soundalike"-Software hat Michael Iber sich ein Werkzeug geschaffen, welches in der Lage ist, beliebige Audio-Dateien in Orchesterpartituren zu übersetzen. Die Besetzung des Orchesters lässt sich dabei ebenso frei definieren wie die zeitliche Rasterung, die ein wesentliches Kriterium für die Spielbarkeit der Partituren darstellt. Interessant ist an diesem Verfahren die Unschärfe zwischen dem Ausgangsmaterial und dem daraus gewonnenen neuen Stück: so tragen die "soundalikes" eine starke Analogie zu den Reduktions- und Abstraktionstechniken von Angela Bulloch, zum Beispiel der Pixelboxen.

Entgegen ihrer ursprünglichen Konzeption, der Generierung spielbaren Orchestermaterials, setzten Angela Bulloch und Michael Iber „soundalike“ mittels eines neuen Software-Moduls nun erstmals als Grundlage klanglicher Synthese ein. Dabei hat der im Vergleich zu herkömmlichen Synthese-Resynthese-Verfahren eingeschlagene "Umweg" über die Partiturerstellung nicht nur klanglich sehr charakteristische Auswirkungen: er prädestiniert die Verteilung der Stimmen auf die einzelnen Lautsprecher im Raum.

"Musik im Kopf" heißt das zweite der erwähnten Computerprogramme und prägt den Mittelteil von Z Phrase. Der eigentümliche Name leitet sich von einer Äußerung des schon fortgeschritten schizophrenen Robert Schumann über seine Wahrnehmung musikalischer Zeit ab: dieses Software-Instrument ermöglicht extreme zeitliche Beschleunigungen und Dehnungen bis hin zum Stillstand sowie davon unabhängige Tonhöhenveränderungen im Echtzeit-Betrieb und erlaubt so ein investigatives Abtasten eines Klanges im Hinblick auf seine charakteristischen Momente.

Michael Iber wurde 1965 in Mannheim geboren und lebt in Berlin und Coburg. Er studierte Klavier an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe, der California State University und der Royal Academy of Music in London und war bis 2005 als Pianist tätig. Seit Ende der 1990er Jahre beschäftigt er sich mit elektronischer Musik und programmiert die meisten der dafür benötigten Werkzeuge selbst.

Ursprünglich "klassischer Interpret" interessiert er sich inzwischen in einem erweiterten Sinne für Interpretationsformen, für ein verändertes Verständnis von Kunstwerk und Urheberschaft und die Bedeutung kultureller Referenzen im Rahmen künstlerischer Arbeit. Er ist Autor zahlreicher Rundfunk-Features und arbeitet für den SWR in der Produktion der Donaueschinger Musiktage.

Kurator: Matthias Mühling